Die Obamas
zwei Alternativen: Zum einen schlug er eine »große Übereinkunft« vor, womit er einen von beiden Parteien getragenen Deal meinte, der scheinbar unlösbare Probleme wie Steuererhöhungen für die Reichen und eine Abgabenreform umfasste, oder aber als Zweites einen Kompromiss auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners der jeweiligen Forderungen. Was er unter allen Umständen vermeiden wollte, war ein Deal auf Kosten der Armen, ein fauler Kompromiss also, der niemanden zufriedengestellt hätte, oder nur einen kurzfristigen Plan, der neue Beratungen noch vor der Wahl 2012 nach sich gezogen und dadurch für Instabilität gesorgt hätte. (»Es ist gar nicht so einfach, etwas zu konzipieren, was alle wütend macht, aber das ist gewissermaßen unsere Stärke«, scherzte er im Frühjahr bei einer Benefizveranstaltung und meinte damit Deals wie den Haushaltskompromiss vom April, mit dem er weder bei Gegnern noch bei Anhängern gepunktet hatte.)
Berichte vom Fortschritt der Verhandlungen ließen Obama hoffen: Die Republikaner wollten tatsächlich einen Deal, und bald stand ein weitreichender Plan zur Diskussion, der eine Reform der gesamten Steuergesetzgebung vorsah, eine Reduzierung der Staatsausgaben um rund vier Billionen Dollar innerhalb eines Jahrzehnts, die Erhöhung der Steuern für die Reichen und die Umsetzung der längst überfälligen, unvermeidbaren Reformen bei Medicare und dem Sozialversicherungssystem. Obama gewann allmählich ein ganz anderes Bild von Washington, und seine Angebote an die Führung der Republikaner schienen sich auszuzahlen. Er wusste beide Parteien hinter sich, das politische Taktieren schien ein Ende zu haben, und er konnte sich endlich dem Wohl des ganzen Landes widmen.
Doch am zweiten Juli-Wochenende fiel alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, konnte die Vertreter der Tea Party und etliche andere Republikaner nicht dazu bringen, für den Deal zu stimmen: Sie waren grundsätzlich gegen jede Steuererhöhung. Die Regierung Obama hatte irrtümlich angenommen, die Führung der Republikaner könne die Basis der Partei einbinden, so dass genügend Abgeordnete dem Kompromiss zustimmen würden. Um die Verhandlungen nicht zu stören, hatte der Präsident sich in der Öffentlichkeit zurückgehalten und die Republikaner nicht angegriffen. Er hatte in Kauf genommen, für schwach gehalten zu werden, um etwas zu erreichen. Die Strategie war fehlgeschlagen.
Drei Wochen lang wurde mit etlichen Unterbrechungen zäh verhandelt; das Ultimatum rückte bedrohlich näher, Panik kam auf wegen des möglichen Zusammenwirkens der sich zuspitzenden Schuldenkrise in Europa, den sich verschlechternden Wirtschaftszahlen in den Vereinigten Staaten und obendrein einer drohenden amerikanischen Staatsinsolvenz. Vergeblich setzte der Präsident nach wie vor auf eine umfassende Lösung, während seine eigenen Parteifreunde die Frage stellten, warum er das Problem nicht vorhergesehen und im Verlauf des Jahres 2010 Druck auf den Kongress ausgeübt habe, als es noch nicht klar war, dass er sich zur Wiederwahl stellen würde. Die Tage vergingen, und eine Vorstellung nach der anderen musste revidiert werden: Jemand skizzierte eine mögliche Vereinbarung, alles atmete auf, und schon am selben Abend oder am nächsten Tag war klar, dass es doch wieder keinen Deal geben würde.
Sich für das Kommandounternehmen gegen bin Laden zu entscheiden sei schwierig gewesen, vertraute Obama einem Mitarbeiter an, aber er habe keine Probleme damit gehabt. Es sei eine Entscheidung auf der Basis rein rationaler Erwägungen gewesen, die Auseinandersetzungen mit den Republikanern hingegen kämen ihm oft irrational vor. »Es macht mir nichts aus, schwierige Entscheidungen zu treffen, ich kann gut mit den Konsequenzen leben«, sagte er. Er fühlte sich wohler bei der Machtausübung als bei der Ausübung von Politik. Jetzt hatte er das Gefühl, in der Falle zu sitzen, sagten Mitarbeiter. Der Staatsbankrott konnte zu einem wirtschaftlichen Desaster führen, deshalb musste er Kompromissbereitschaft signalisieren. Obama hatte sich seit seiner Amtseinführung machtlos gefühlt, doch noch nie so machtlos wie jetzt. »Er meint,
dafür
sei er nicht angetreten«, berichtete ein ehemaliger Mitarbeiter.
Ein Präsident muss kämpfen können, ohne den Eindruck entstehen zu lassen, dass er kämpft – er darf in keinem Augenblick defensiv erscheinen. Damit hatte Obama schon in seinen
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