Die Obamas
Die weltweit beständigste Verkörperung ererbter Privilegien hieß zwei Menschen willkommen, die den Aufstieg aus eigener Kraft geschafft hatten. Alle lächelten höflich und stellten sich den Fotografen.
Am nächsten Tag, während die G- 20 -Teilnehmer über wirtschaftliche Anreize diskutierten, saßen ihre Gattinnen in der Royal Opera und genossen in wohldosierten Portionen klassische Musik, Ballettdarbietungen und den Lunch. Die Unterhaltung war schwierig, denn nicht alle sprachen Englisch; man verständigte sich über Dolmetscher oder improvisierte kurzerhand. Erlesene Speisen wurden serviert, wie immer bei solchen Anlässen: Ein Land versuchte neunzehn andere mit seiner Küche zu beeindrucken. Zum Dessert gab es Mokkamousse mit Honey Crunch, weiße Schokoladenbeignets mit einem säuerlichen Himbeer-Dip und Biscotti, Bruschetta mit Halbgefrorenem und Heidelbeeren in Vino Santo, dazu Käse und Kekse. Hillary Clinton hatte in ihrer Zeit als First Lady die Speisen auf diplomatischen Reisen so übertrieben üppig gefunden, dass der Küchenchef des Weißen Hauses ihr riet, die Portionen zu halbieren, indem sie eine Hälfte ihres Tellers »versehentlich« mit Salz bestreute und ungenießbar machte.
Im gediegenen Ambiente der Oper mit den burgunderroten Teppichen und vergoldeten Wänden stach Michelle Obama hervor wie ein Paradiesvogel. Die anderen Damen waren in dunklen oder Cremetönen dezent gekleidet, sie aber trug ein hinreißendes türkisfarbenes Kleid und dazu eine glitzernde, asymmetrisch burgunder-türkisfarben gemusterte Jacke. [25]
Michelle Obama nahm pflichtgemäß an dem von Sarah Brown, der Frau des damaligen britischen Premierministers, organisierten Programm teil. Aber sie befand sich auf ihrer Jungfernfahrt ins Ausland, und sie wollte etwas unternehmen, nach dem ihr mehr der Sinn stand. Kurz nach dem Lunch stahl sie sich davon.
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Wer in der Presse oder im Fernsehen die Nachrichten verfolgt hat, dem müssen Michelle Obamas erste Monate als First Lady geradezu triumphal erschienen sein. Sie lud Washingtoner Schulkinder ein, mit ihr zusammen den Rasen des Weißen Hauses umzugraben und einen Gemüsegarten anzulegen, und sie brachte Prominente wie die Sängerin Alicia Keys und die erste schwarze Astronautin Mae Jemison dazu, Washingtoner Schulen zu besuchen und Patenschaften für junge Frauen zu übernehmen. (»Am liebsten würde ich machen, was
du
machst!«, sagte der Präsident damals zu seiner Frau.) Sie ließ sich für ein offizielles Porträt in einem ärmellosen schwarzen Etuikleid fotografieren, das ihre inzwischen berühmten muskulösen Arme zur Geltung brachte. Die neue First Lady war temperamentvoll, enthusiastisch und aktiv, jugendlicher und cooler als die meisten ihrer Vorgängerinnen. Ein Jahr nachdem Kritiker ihr vorgeworfen hatten, sie wirke bedrückt und sei voreingenommen gegen Weiße, kletterten ihre Popularitätswerte in solche Höhen, dass sie zum Running Gag im Weißen Haus wurden. »An Michelles kommen meine nicht ran«, sagte der Präsident grinsend, wann immer ihm seine respektabel stabilen und Michelles höhere Umfragewerte vorgelegt wurden.
In Wahrheit aber machte die First Lady eine schwierige Zeit durch: Sie fühlte sich alles andere als glücklich in ihrer neuen Rolle. Viele ihrer Befürchtungen hatten sich bewahrheitet: Sie war weit fort von der Stadt, in der sie bis dahin fast ihr ganzes Leben zugebracht hatte, und sie hatte eine Karriere aufgegeben, an der sie über lange Zeit gefeilt hatte. Sogar einige ihrer Freundschaften waren in die Brüche gegangen – Michelle Obama reagierte empfindlich auf das leiseste Anzeichen, dass man sie ausnutzen wollte: Einige alte Freunde waren, wie sie fand, zu weit gegangen und hatten ihren Namen ins Spiel gebracht, um Jobs zu ergattern. Besonders unzufrieden war sie jedoch mit ihrem Part in der Regierungsarbeit. Sie machte im Gespräch mit Mitarbeitern unmissverständlich klar, dass ihr Mann sich mehr auf seine Kabinettsmitglieder und auf Joe Biden, seinen Vize, verlassen solle – und auf sie selbst. Sie wollte zwar nicht die politische Richtung bestimmen, aber ihr war daran gelegen, konstruktiv mitzuwirken und den Menschen zu zeigen, wie Regierungsarbeit wirklich aussah. »Sie war sehr frustriert, weil die gesamte Strategie um die Person des Präsidenten kreiste«, sagte ein Mitarbeiter. »Wie sie selbst in den allgemeinen Obama-Diskurs passte, wurde nicht berücksichtigt.«
Endlich waren sie im Weißen Haus angekommen, sie
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