Die Obamas
stellte es sich anders dar, und sie sagte es immer öfter: Er bekam nicht genug Unterstützung von seinen engsten Beratern.
Da er nun Präsident war, legte sie noch strengere Maßstäbe an. Dies war kein Wahlkampf – sie waren im
Weißen Haus.
Sie konnten sich keine Fehler leisten.
Doch anders als im Wahlkampf ging Michelle Obama selten auf Konfrontationskurs zu den Beratern ihres Mannes; sie wollte keine First Lady sein, die sich in die Angelegenheiten des Westflügels einmischte, und auch nicht als solche gelten. Sie kommunizierte meist nur indirekt mit Emanuel, Axelrod, Gibbs und anderen, Spannungen äußerten sich vielleicht in einer vorsichtigen Bemerkung von Jarrett oder auch nur in Gerüchten über Unzufriedenheitsbekundungen der First Lady, die dann im Westflügel kursierten. Michelle schrieb weiterhin E-Mails, wenn eine Nachrichtenmeldung sie betraf, schickte sie aber jetzt an Jarrett, die sie ohne den Namen der First Lady weiterleitete. »Ich habe das nicht selbst gesehen«, schrieb Jarrett beispielsweise an einen Mitarbeiter, »aber könnten Sie herausfinden, woher das stammt?« Dann wusste jeder, dass Michelle dahintersteckte.
Es war jedoch nicht klar, wie ernst Obama die Meinungen seiner Frau zu Fragen der Strategie oder Kommunikation nahm. Ihre Anteilnahme gefiel ihm, aber Michelle Obama fehlte die Routine in diesen Dingen, und sie neigte dazu, sich über das, was sie im Fernsehen sah, allzu sehr zu beunruhigen. Susan Sher war einmal dabei, als sie ihrem Mann gegenüber ein Problem mit den Mitarbeitern zur Sprache brachte und dabei immer mehr in Fahrt kam. »Das und das musst du machen, hat sie gesagt, und blablabla und blablabla«, so Sher. Der Präsident grinste seine Frau nur an, und Michelle musste unweigerlich lächeln, als sie merkte, wie sehr sie sich in Rage geredet hatte. Am Ende lachten sie beide.
Die First Lady ging gern um halb zehn, zehn zu Bett, der Präsident aber verbrachte oft noch mehrere Stunden in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock, dem sogenannten Treaty Room. Im Gegensatz zum Oval Office, das mehr einer Bühne glich, war dies ein richtiges Büro mit Computer, Drucker und einem Fernseher, damit Obama nebenher Basketballspiele verfolgen konnte. Auf dem riesigen Schreibtisch stapelten sich Bücher und Papiere.
Zur Überraschung seiner Berater studierte Obama nachts oft noch stundenlang Unterlagen. Während des Wahlkampfs hatte ihn sein Selbstvertrauen bequem gemacht, und er hatte selbst wichtige Aufgaben – wie etwa das Schreiben und Einüben der Rede anlässlich seiner Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten – gerne bis zum letzten Moment aufgeschoben. Als Präsident aber sog er Informationen wie ein Schwamm auf und arbeitete abends so intensiv, dass er von Powerpoint-Präsentationen am nächsten Tag nichts wissen wollte. (Jarrett zufolge verfügt er über ein fotografisches Gedächtnis.) Die Stunden verstrichen, er ging die Memos seiner Berater Zeile für Zeile durch und gab sie am nächsten Tag mit Notizen in seiner unverwechselbaren schwungvollen Handschrift zurück. Auch am Wochenende ging er abends oft in sein Büro im ersten Stock. Nach dem Abendessen sagte er zu seiner Frau und den Whitakers oder Nesbitts: Bleibt ihr ruhig hier, viel Spaß, ich muss noch eine Weile arbeiten.
Beschlüsse fasste Obama fast nie in den offiziellen Räumen, wenn andere dabei waren. Vor einer wichtigen Entscheidung informierte er sich zunächst gründlich, dann besprach er die Sache mit seinen Beratern, wollte auch gegensätzliche Standpunkte hören und schnappte sich nach einem Meeting einzelne Teilnehmer, um noch mehr zu erfahren. Gewöhnlich endete das Gespräch mit einem: Danke, ich gehe jetzt schlafen, und die Mitarbeiter ahnten oft nicht, wie er sich entscheiden würde. Für viele der wichtigsten Momente in Barack Obamas Präsidentschaft gab es keine Zeugen: Sie geschahen, wenn der Präsident still und allein oben in seinem Arbeitszimmer saß.
Kapitel 4 : Die Lady, die etwas bewegen will
April 2009
P räsident Barack Obama verbrachte den ganzen Vormittag des 2 . April 2009 beim Weltfinanzgipfel in London mit den Staats- und Regierungschefs der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. First Lady Michelle Obama nahm währenddessen lächelnd und applaudierend am umfangreichen Damenprogramm teil.
Es war die erste offizielle Auslandsreise des Paars. Am Tag vor dem Gipfeltreffen waren sie von Königin Elizabeth im Buckingham-Palast empfangen worden:
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