Die Obamas
Hoheit über den Kalender des Präsidenten innehatte, musste Michelle mit den Entscheidungen, die ihr Mann als Präsident traf, leben.
Valerie Jarrett und Rahm Emanuel waren die Kontrahenten im Westflügel und bei internen Angelegenheiten durchaus nicht immer einer Meinung. Doch der Gegensatz zwischen Emanuel und Michelle Obama hatte eine andere Dimension, ja, er konnte eigentlich nicht größer sein: Sie plante alles bis ins Letzte, ihr war an der Durchführung fast genauso viel gelegen wie am Ergebnis, während er gerne von einem Tag zum anderen agierte. Ihm war praktisch nichts heilig. (»Um Stimmen zu gewinnen, würde er sogar Malia und Sasha dem Meistbietenden in die Ehe geben«, scherzten Mitarbeiter.)
Darüber hinaus vertrat Michelle Obama die Ansicht, dass ihr Mann ein außergewöhnlicher Mensch sei und etwas verändern könne – dass er quasi über der Politik stehe. Diese Überhöhung sah Emanuel mit Skepsis. (»Die Regeln gelten für alle«, so formulierte es ein früherer Berater, und sich darüber zu beklagen, wie die Dinge in Washington liefen, sei so, »als würde man weinen, weil es regnet«.) Michelle beherrschte die Sprache und die Regeln der Politik nur unzureichend, Emanuel hingegen war darin versiert.
Anfangs versuchte Michelle noch, das Eis zu brechen. Ein ehemaliger Mitarbeiter fasste ihre Bemühungen so zusammen: »Ich bin nicht Hillary Clinton, dies ist ein Neuanfang, also gebt mir eine Chance.« Doch Rahm schien den Kontakt mit ihr nach Möglichkeit zu meiden und sorgte dafür, dass Valerie Jarrett die Rolle der Mittlerin zwischen Ost- und Westflügel zukam.
Kurz nach ihrem Einzug ins Weiße Haus hatte Michelle Obama, die kaum Erfahrung mit den Gepflogenheiten in Washington besaß, Jackie Norris zur Chefin ihres Stabes berufen. Die ehemalige Lehrerin, die als Wahlkampfhelferin in Iowa tätig gewesen war und Al Gore in seiner Zeit als Vizepräsident bei der Terminkoordination unterstützt hatte, war eine fröhliche, tüchtige Person, die jedoch kein Händchen für interne Machtkämpfe hatte und deren Position es nicht erlaubte, sich gegen die Berater des Präsidenten zu stellen. Im Umgang mit dem Westflügel wurde sie »einfach niedergewalzt«, so ein Mitarbeiter. Jackie Norris hätte gern an den wichtigen Halbachtuhr-Meetings teilgenommen, die Emanuel jeden Morgen abhielt, doch der Stabschef bat sie nicht dazu. Die First Lady selbst trat jede Woche mehrmals in der Öffentlichkeit auf, hatte aber keinen Redenschreiber; viele ihrer frühen Reden schrieb ihre Pressesprecherin Camille Johnston. Als die Obamas einmal eine Schule besuchten, hatte ein kleines Mädchen zu ihr gesagt, wenn sie groß sei, wolle sie auch First Lady werden. »Versprich dir nicht zu viel davon«, hatte Michelle zurückgegeben.
Vor der Amtseinführung hatte Michelle Obama drei Themen ins Auge gefasst, für die sie sich als First Lady einsetzen wollte: mehr Unterstützung für Soldatenfamilien, die Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit und gemeinnütziger Arbeit, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Sie scheute das Rampenlicht, aber ihr war daran gelegen, anzuleiten und anzuregen. Sie war bereit, sich selbst und sogar ihre Kinder zu instrumentalisieren und sich als vorbildlich in Sachen Sport, Elternschaft, Erziehung und selbst auf dem Feld der Ehe herauszustellen zu lassen. Mit ihrem Umzug nach Washington, so hatte sie nach der Wahl beschlossen, wollte sie demonstrieren, »wie man sich in seinem Umfeld engagieren kann«, sagte ihre politische Direktorin Jocelyn Frye. Aber Michelle Obama hatte kaum konkrete Pläne, es blieb bei eher symbolischen Handlungen wie etwa dem Besuch von verschiedenen Suppenküchen. Themen wie ehrenamtliche Arbeit oder Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf waren ebenfalls wenig greifbar. Hinzu kam, dass der Präsident nach Auskunft mehrerer Mitarbeiter wenig geneigt schien, ihr zu sagen, was sie als First Lady zu tun habe: Er wollte nur, dass seine in der politischen Arena oft so unglückliche Frau zufrieden war. Auch wollte er nicht, dass sie die Politik seiner Regierung nach außen vertrat, um sie aus der Schusslinie herauszuhalten.
Meist versuchte ihr Büro daher einfach nur, die Flut der Einladungen zu bewältigen, die täglich eintrafen. Die First Lady gab Richtlinien vor, an die sich ihre Mitarbeiter beim Sichten der Post halten sollten. Sie wollte sich nicht verzetteln, wollte nicht am Montag eine Veranstaltung zum Thema Herzinfarkt besuchen, am Dienstag ein
Weitere Kostenlose Bücher