Die Obamas
hatten die Chance, den Wandel herbeizuführen, den sie so lange angestrebt hatten, und Michelle sah, wie erschöpft ihr Mann war. Niemand hatte in den vergangenen Jahren mehr für Barack Obamas Popularität getan als sie – warum machte sich der Westflügel das nicht zunutze? Sie war ein starker Aktivposten, wie sie fand, und wollte helfen, aber die männlichen Berater auf der anderen Seite des Gebäudes sahen das einfach nicht. »Sie wollte in die strategische Planung einbezogen werden. Sie wollte sicherstellen, dass alles aufeinander abgestimmt war«, sagte Anita Dunn, die damalige Pressesprecherin des Weißen Hauses und eine der wenigen im Beraterteam, die sowohl dem Präsidenten als auch der First Lady nahestanden. Später setzte sich Michelle konkret für bestimmte Ziele ihres Mannes ein, doch in dieser ersten Zeit wollte sie einfach helfen, die dringendsten Aufgaben anzugehen.
Die Gründe für ihre Frustriertheit waren dieselben wie während des Präsidentschaftswahlkampfs: Wieder sah sie sich von den Beratern ihres Mannes ignoriert und unzureichend unterstützt. Und erneut betonte sie, nur zwei Tage in der Woche arbeiten zu wollen, worauf Mitarbeiter aus dem Westflügel dezent hinwiesen. Im Wahlkampf hatte sie sich wenigstens noch in ihre eigene Arbeit, in ihre eigene Welt flüchten können; jetzt war sie wie gefangen in einer rein repräsentativen Position ohne klare Ziele. Die Rolle der First Lady der Vereinigten Staaten ist nicht genau definiert, sondern beschränkt sich auf die Teilnahme an einigen Veranstaltungen. Laura Bushs Team hatte mehrere dicke Ordner mit Instruktionen hinterlassen: wie Weihnachtskarten zu bestellen waren, was alles für Auslandsreisen einzupacken war, wie das Anzünden des Weihnachtsbaums zu organisieren war und vieles andere mehr. Doch Michelle Obama hielt nichts von rein repräsentativen Ritualen, sie wollte eine Strategie, Einfluss und Ergebnisse.
Die neue First Lady identifizierte sich kaum mit den Präsidentengattinnen, die diese Rolle vor ihr ausgefüllt hatten, und sie zeigte wenig Interesse daran, sich an ihrem Beispiel zu orientieren. Beobachter verglichen sie wegen ihrer Vorliebe für schöne Kleidung manchmal mit Jackie Kennedy oder auch mit der ebenfalls an Eliteuniversitäten ausgebildeten Juristenkollegin Hillary Clinton. Doch der Vergleich mit der ehemaligen Internatsschülerin, die in besseren Kreisen verkehrte, erschien der in einfachen Verhältnissen aufgewachsenen Michelle absurd; und im Gegensatz zu Hillary Clinton hatte sie auch nicht den Wunsch, im Westflügel aktiv Macht auszuüben oder sich in ein Amt wählen zu lassen. »Sie ist ganz sie selbst«, sagte Susan Sher. »Wenn in den Medien über die Frage spekuliert wurde, ob sie wohl mehr wie Hillary Clinton oder mehr wie Laura Bush sei, zuckte sie nur mit den Schultern. Sie konnte sich mit keiner der beiden Frauen wirklich identifizieren.«
Den Westflügel des Weißen Hauses kennt fast jeder aus dem Fernsehen oder den Geschichtsbüchern. Der Ostflügel, der Wirkungsbereich der First Lady, hat bei weitem nicht diesen Status: Abgesehen von der Organisation repräsentativer oder unterhaltsamer Events spielt der Ostflügel kaum eine tragende Rolle. Das politische Herzstück des Weißen Hauses ist der Westflügel, hier werden die wichtigen Entscheidungen getroffen. Da der Informationsfluss zwischen diesen beiden Bereichen nicht immer gut funktioniert, fühlen sich die First Ladies häufig schlecht informiert und außen vor gelassen. So auch Michelle Obama. Hinzu kam, dass sie kaum etwas mit Rahm Emanuel verband, dem wichtigsten Mitarbeiter ihres Mannes. Im Gegenteil, ihre Beziehung war von Anfang an eher distanziert und von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Michelle Obama hatte Emanuels Nominierung skeptisch gegenübergestanden, und nun erwies er sich ihr gegenüber als ebenso skeptisch. Denn Emanuel misstraute First Ladies grundsätzlich, das bestätigten enge Mitarbeiter. Das ging wohl zurück auf Auseinandersetzungen mit Hillary Clinton in den 1990 er Jahren, die so aus dem Ruder gelaufen waren, dass Hillary Clinton schließlich Emanuels Entlassung aus dem Beraterstab ihres Mannes bewerkstelligte.
Jedenfalls war Emanuel jetzt der Stabschef und füllte damit eine Position aus, die Probleme mit der First Lady quasi per Definition mit sich brachte. Schließlich waren sie beide Partner des Präsidenten – er für den öffentlichen Bereich, sie für den privaten, eher informellen. Während Emanuel die
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