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Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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wurde allen, die nicht unmittelbar mit den Reparaturarbeiten befaßt waren, Landurlaub gewährt, um auf der Insel zu helfen. Küstendörfer mußten von Grund auf neu erbaut werden und in einigen Fällen auch neu bevölkert.
    Im Kielwasser der Katastrophe trauerte die Insel nicht länger. Stattdessen gewann frenetische Arbeitslust die Oberhand. Durch eine Laune des Geschicks waren jetzt mehr Männer als Frauen auf der Insel, im Verhältnis von ungefähr zwei zu eins. Das kollidierte nicht mit den Gepflogenheiten der Vergangenheit, da Vielmännerei eine gesellschaftlich anerkannte Praktik war. Aber es schuf eine ganze Reihe von Problemen für die Männer.
    Kiril verbrachte die letzten Tage seiner Genesung, indem er die Insel bereiste, wandernd oder reitend auf den halb wiederhergestellten Straßen, und die Stellen besuchte, wo die Mannschaft der Dreizack beim Wiederaufbau half.
    Er blieb zwei Tage lang in Mappu als Berater beim Wiedereinsortieren der religiösen Bibliothek. Am zweiten Tag saß er gerade mit einer Gruppe von Priesterinitianten inmitten eines Wirrwarrs aus Steinregalen und Schriftrollen und erläuterte das Verfahren, einen Karteikartenkatalog anzulegen, wobei er zwischen Teutanisch und bruchstückhaftem Golumbine hin- und herstolperte, als eine schwarzhaarige, umberhäutige Frau die Bibliothek betrat und befehlend mit den Fingern schnippte. Sie blickten alle auf, Kiril mit einem Stirnrunzeln. Die Frau trug ein Kleid nach Art eines Sari, das sie von den Knöcheln bis zur Schulter verhüllte. Ihr Gesichtsausdruck war mild und freundlich, und als sie sie ansprach, benutzte sie die landesüblichen Entschuldigungsworte, aber es war augenscheinlich, daß sie vollkommene Aufmerksamkeit von ihnen forderte.
    Bei Anbruch der Abenddämmerung würde auf der Plaza, dem Ritualplatz Mappus, eine feierliche Gattenwahl beginnen. Alle noch nicht erwählten Männer waren aufgefordert, dort zu erscheinen. Mit einem ausdruckslosen Seitenblick auf Kiril fügte sie hinzu, daß Ausländer ebenfalls eingeladen seien. „Die Verpflichtung wird in jedem Falle nur eine zeitweilige sein“, erklärte sie ihm auf Teutanisch. Dann lachte sie, drehte sich graziös um und ging hinaus.
    Das war das letzte, in was Kiril verwickelt werden wollte. Die Initianten summten vor Interesse; Spekulationen flogen hin und her. Es kostete ihn etliche Minuten, die Diskussion wieder zurück auf den Katalog zu lenken.
     
    Bar-Woten und Barthel spazierten über den halb fertiggestellten Quai und charterten ein Taxi, das sie zur Plaza bringen sollte. Der Fahrer trieb sein Pferd mit wildem Gezisch an und schnalzte freigebig mit den Zügeln. So preschten sie durch eines der unzähligen verwinkelten Seitengäßchen Mappus, als sie Kiril erspähten. Sie befahlen dem Taxi, anzuhalten, und luden ihn ein, sich ihnen anzuschließen. Er war zu müde, um viel darüber nachzudenken, wohin sie eigentlich unterwegs waren. Er nahm an, sie seien auf dem Weg zum Abendessen. Also kletterte er in den Kutschwagen, und das Taxi rollte wieder los.
    Die Plaza war ein weites, offenes, mit ockerfarbenen Steinziegeln gepflastertes Geviert mit einer tiefen kommunalen Zisterne in der Mitte und einer Schräge aus steinernen Sitzreihen an einer Seite. Vor Tausenden von Jahren war die Plaza der Schauplatz von Opfern gewesen, ob nun Menschen- oder Tieropfer, darüber sprachen die Golumbianer nicht gern. Jetzt diente sie als Zentrum bürgerschaftlicher Willensbildung, wenn hier der Rat der Insel zusammentrat.
    Die Sitzreihen waren gefüllt mit lärmenden und schwatzenden Frauen, die in zeremonielle rotgoldene Überwürfe gekleidet waren; ihr Haar floß über ihre Schultern herab, und ihre Augen leuchteten hell vor innerer Beteiligung. Die Plaza war leer, aber Scharen besorgt und nervös wirkender Männer drängten sich zu beiden Seiten. Das Taxi entließ die drei am Rande der Plaza, und erst jetzt erkannte Kiril, daß sie nicht zum Abendessen unterwegs waren.
    „Was sollen wir hier?“ fragte er ruhig. Bar-Woten grinste und sagte nichts. Zu müde, um großen Wirbel zu machen, stellte sich Kiril zu ihnen, gewillt, die Vorgänge zu verfolgen, aber nicht, daran teilzunehmen. Seine Rippen schmerzten immer noch ein wenig.
    Der Spätnachmittag war immer noch warm und drückend schwül. Vögel zeterten im Dschungel jenseits der Begrenzung der Plaza. Ein hochgewachsener, ganz in Grün gekleideter Priester trat auf die Krone der Mauer, die den Brunnen umschloß, und bat mit lauter, klarer

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