Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
Schneehang schlingerte es seitwärts in das Wellental, schwankend und in wildem Zickzackkurs. Wasser stürzte über seine Decks. Der Besanmast splitterte vom Achterdeck los und purzelte hin, zerriß sämtliche Taue, trieb die Besanspiere wie einen Pfeil durch die Stahlplatten des Decks. Barthel starrte den zersplitterten Schaft an. Er war kaum einen Meter von der Stelle entfernt, wo der Khemite festgezurrt war.
    Die nachfolgenden Hundswellen rumpelten die Dreizack tüchtig durch, aber sie ritt sie ohne große Mühe ab. Im Kielwasser der großen Welle brodelte und kochte das Meer, und Dinge stiegen vom Meeresgrund herauf, die für Jahrhunderte ungestört geruht hatten. Ein mit Entenmuscheln bewachsenes, in Auflösung übergegangenes Wrack blubbte an die Oberfläche, fast genau unter der Dreizack; Masten und Rumpf ragten für mehrere Sekunden über die Wasserlinie, bevor es wie ein Stein sank. Das Meer war verschlickt, und große syphilitische Beulen blasigen Schlamms platzten überall. Verschlungene Knoten von Tang trieben dahin wie das Haar einer ertrunkenen Frau.
    Bebend und mit schmerzenden Gliedern band sich die Mannschaft los und kroch auf Deck, um zu sehen, was getan werden mußte. Ungläubig schüttelten sie die Köpfe. Einige weinten – Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen. Menschen umarmten einander wie lang verlorene Freunde.
    „Es ist noch längst nicht vorüber“, sagte Bar-Woten. Keiner hörte ihm zu – sie wußten sich vor freudiger Erregung nicht zu bändigen und tanzten auf dem Deck, als die Luft wieder feucht wurde. Wieder fiel Schnee, senkte sich friedlich nieder auf Deck. Ein klirrend kalter Wind jagte über das Schiff hin und malte weißgrauen Frost in die Takelage.
    Der Kapitän befahl allen von der Brücke herab, zu brassen. Eine zweite Welle war im Anmarsch, größer als die erste.
    Ihnen blieben nur wenige Minuten, unter Deck zu gehen und sich neuerlich festzuzurren. Die Dreizack faßte in ihren Bilgen schneller Wasser, als die Pumpen es wieder entfernen konnten, und lag schon einen Meter tiefer im Wasser als gewöhnlich. Sie krängte leicht, als sie in den herannahenden Berg schwang.
    Kiril half, das letzte umherirrende Kind festzubinden, und klammerte sich dann an den Kanten eines Stützbalkens fest. Er wußte, daß er keine Zeit mehr hatte, sich anzuleinen. Sein Magen schien ihm auf die Füße zu fallen. Draußen erklang ein Ton, wie ihn nie zuvor jemand vernommen hatte – das wahnsinnige Röhren von Atomen, die zertrümmert wurden. Ein Lichtblitz bedeckte den Himmel.
    Das Schiff tauchte hinab. Das Schott einer achtern gelegenen Abteilung löste sich ab und verbog sich wie das Blech in einem Kinderspielzeug. Kiril wurde herumgewirbelt und verlor seinen Halt, prallte von einer Ansammlung festgezurrter Lattenkisten ab und fiel er-wußte-nicht-wohin. Es war dunkel am Grunde.

 
     
13
     
     
    Golumbine war fast nicht wiederzuerkennen. Die Lagerhäuser und Quais waren verschwunden oder mit Schlamm und Schlick bedeckt. Die langen Bootshäuser waren nur mehr Scherben nassen und zersplitterten Holzes und die Boote verstreute Wrackteile. Die Insel war still wie ein Grab. Niemand regte sich. Als das Schiff in den dreckverschmierten Hafen trieb, stießen Holzreste und Kadaver von Tieren und Menschen dumpf gegen seinen Bug. Die Stadt Mappu war vom Ozean aus nicht sichtbar und mochte von ihrer Einfassung aus Hügeln geschützt worden sein, aber sie konnten nicht die geringste Aktivität sehen. Bis zu einer Höhe von fünfzig Metern waren die bewaldeten Hügel struppig zerzaust und ihres Laubkleids beraubt.
    Dat und eine ihrer Wächterinnen standen immer noch aufrecht, bis zur Hüfte mit Tang und Schlamm besudelt. Die andere Schlangensäule war nirgendwo zu sehen. Das Tageslicht war milchig und gleichsam lückenhaft; der Norden war grau und dunkel.
    Müde auf den Tod, würgend ob des Geruchs nach Fäulnis, der in der warmen, unbewegten Luft lag, nahmen die Menschen an Bord der Dreizack das Bild in sich auf, während ihr Schiff vor Anker ging.
    Bar-Woten kam an Deck. Sein Gesicht war bleich und gezeichnet von Schmiere und Dreck. Barthel stand an der Reling und starrte leer hinüber zur Insel.
    „Er hat ein paar gebrochene Rippen“, sagte der Ibisier. Barthel nickte. „Mit seinem Kopf mag auch etwas nicht in Ordnung sein. Der Doktor kann es nicht mit Sicherheit sagen.“
    Es gab keine Gezeiten, die die Strände hätten blankschrubben oder das angespülte Treibgut mit sich hinaus auf See

Weitere Kostenlose Bücher