Die Obelisken von Hegira
Gefangenen, darunter auch Kiril, in ein dunkles Heckabteil. Barthel und Bar-Woten standen in der nächsten Reihe und kamen nicht an Bord dieses Fahrzeugs.
Das Abteil war gerammelt voll und stank nach Angst. Einige wenige Lichter flackerten über ihren Köpfen vor sich hin, weiße Streifen in der niedrigen Decke, und sie sahen, daß der Boden gepolstert war. Sitze säumten die Wände. Jene, die sich setzen konnten, taten es. Außer Kiril war niemand von der Dreizack in der Gruppe. Er hockte sich auf dem Bodenbelag hin und rieb sich das Gesicht mit den Händen. Als er die Finger wegnahm, waren sie feucht vor Tränen. Er fühlte sich, als würde er am liebsten sterben, so durcheinander war er.
Die Maschinen unter ihnen husteten, schienen zu lachen, stimmten dann ein Röhren an, das den Körper klimpern ließ. Das Gefährt schlingerte und hob ab. Die Maschinen winselten schriller.
Irgendwann während der nächsten paar Stunden schlief er ein. Er erwachte in einem Geschiebe von Körpern und kämpfte sich aus Alpträumen über Massaker frei. Die meisten der Gefangenen atmeten langsam, rhythmisch, ein Meer von Fleisch, das sanft wogte. Er wischte sich den Schlaf aus den Augen und feuchtete die Finger an, um die Spuren von getrockneten Tränen auf seinen Wangen auszulöschen. Ein paar eulengleiche Augen erwiderten von der gegenüberliegenden Seite des Raumes sein Starren, aber die meisten der Gefangenen waren verloren in blindem, fluchtreichem Schlummer.
Er mußte urinieren. Der Druck war beinahe unerträglich. Er überkreuzte seine Beine und mahlte mit den Zähnen, um die beharrlichen, scharfen Stiche zum Schweigen zu bringen. Es lag bereits Uringeruch von anderen in der Luft. Er spürte einen kleinen, schwachen Brechreiz, was ihn daran erinnerte, daß er immer noch einen Magen hatte und eine ganze Zeit nichts gegessen hatte. Wenigstens wiegte sich das fliegende Schiff nicht mit dem Wasser – wenn sie überhaupt noch über Wasser waren.
Er stand auf, ohne jene zu stören, die rings um ihn hingestreckt lagen, reckte die Arme und spannte seine Beinmuskeln. Er konnte die Decke berühren. Mit einem Finger ertastete er einen Lichtstreifen. Er war warm, aber nicht heiß. Er dachte an Barthel und Bar-Woten. Vielleicht waren sie schon tot, und er war allein auf sich angewiesen. Es fiel ihm schwer, das zu akzeptieren. Er hatte so viel Kraft von den beiden erhalten, trotz ihrer Differenzen!
„Wir sind jetzt schon seit sechs Stunden unterwegs“, sagte ein Mann auf der anderen Seite der Kabine. Kiril erkannte den Wärter des Behelfsgefängnisses. Über dem Auge hatte er einen länglichen Bluterguß, und er hielt einen Arm so, als handele es sich um ein Baby. „Sind Ihre Freunde entkommen?“
Kiril schüttelte den Kopf. Verunsichert wandte er seinen Blick von dem Wärter ab. „Ihre Freunde haben mir nicht sehr weh getan“, sagte der Mann. „Aber diese Bastarde – ich glaube, die haben mir den Arm gebrochen.“
Er schien keinen Groll zu hegen, aber Kiril hielt es immer noch für das Beste, fortan jeden und alles als Feind zu betrachten. Er spürte, es lag in seiner Kraft zu töten, wenn er mußte – etwas, das er nie zuvor gekannt hatte. Er beugte und streckte seine Finger und blickte sie sinnend an.
Falls Bar-Woten und Barthel tot waren, würde er sich selber schützen müssen. Er war nicht länger ein Mündel, ein Amateur. Er war ein eingesperrtes Tier.
Das Winseln der Aggregate veränderte sich. Das Fahrzeug neigte sich vor, wiegte sich dann zurück. Er purzelte hin, als sie abbremsten.
Nun erwachten auch die anderen Gefangenen. Fragensalven prasselten hin und her. Ein Mann und eine Frau umarmten einander voller Freude, blickten dann um sich wie in die Ecke getriebene Karnickel.
Die Maschinen stoppten. Das Gefährt kam mit einem sanften Bumsen zur Ruhe. Das Luk öffnete sich, und blendendes Tageslicht strömte herein, gegen das sich die Umrisse von fünf bewaffneten Wachen abzeichneten. Die Gefangenen wurden aus dem Fahrzeug die Rampe hinuntergetrieben; sie traten hinaus in weichen Schnee, der grauen Beton deckte. Schiefergraue Berge erhoben sich auf drei Seiten, und zur vierten hin erstreckte sich eine weite, wellengeflockte Wasserfläche. Zu ihren Häuptern dräute eine Bank hastig dahineilender Wolken, die sich um die Berge herum auftürmten und Winduntertassen in ihrem Lee skulptierten. Kirils Herz hüpfte angesichts des herbfrischen Geruchs der Luft – Wälder und kühle, ausgedehnte Strände, Seengeruch,
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