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Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Bruders Opfer gnädiger anschaute. Jetzt, an einem anderen Ort und zu einer erheblich anderen Zeit, gewannen wieder jene mit den besseren Werkzeugen – grad so, wie der Tiger mit den geschwinderen Klauen die Vorherrschaft im Walde erringt. Gnade, Freundlichkeit, Anmut und Schönheit hatten mit der menschlichen Existenz in solch toll gewordenen Zeiten nichts zu tun. Er schüttelte den Kopf. Er war so weit von dem allen entfernt, so abgetrennt davon in Geist und Wesensart – und doch wünschte er sich heiß, mit einem Teil seiner dunkleren Seele, daß er die feinsten Geräte von allen besäße. Geißel und Landplage, würde er sich seinen Weg zum Wall bahnen, wie eine Flut von Katzen, die durch ein Mäusedorf brandet – eine Flut streunender Katzen. All die streunenden Katzen leckten jetzt an ihm, hakelten ihn mit ihren Krallen, zerrten die durchweichten Papierbögen weg, die er um sich gewickelt hatte, um sich warmzuhalten. Sie miauten und schnurrten und rieben sich an ihm …
    Er hob mühsam den Kopf und schlang die Arme um sich, um seinem Zittern Einhalt zu gebieten. Er erfror – sie alle erfroren. Stiller und stiller wurden sie, die Augen glasig, die Gesichter blau, die Lippen purpurn. Der Laster bleib mit einem Ruck stehen.
    Sich kaum bewußt, wohin er ging, folgte Kiril der stolpernden Schar der Gefangenen eine abschüssige Rampe hinunter in einen Betonkorridor. Die Wachen rempelten die langsamen, bis sie wieder in Tritt kamen und hinterdreinschlurften. Kirils Füße waren taube Stümpfe.
    Aber es war warm! Warme Luft strömte ihnen wie eine Begrüßung entgegen, als eine innere Tür sich öffnete, und sie lehnten sich in die belebende Brise, als wäre sie das Leben selbst. Stöhnend, weinend und vor Schmerz grunzend wurden sie in einen schmalen, graugrünen Warteraum gestoßen. Kiril fühlte seine Hose krachen, dann feucht werden. Er hatte uriniert, und der Urin war auf seinen Hosenbeinen gefroren. Es war ihm egal.
    Er ließ sich hinplumpsen und grinste und streckte die Beine aus, wie die anderen auch. Aber nach ein paar Minuten verwandelte sich ihre Freude in Elend. Ihre Glieder begannen zu tauen, und mit jedem Eindringen von Wärme stach eine gestrenge Nadel nach ihren Knochen. Dann verkrampften sich ihre Muskeln, und sie schrien laut ihre Pein heraus.
    Andere Gefangene folgten. Barthel kam durch die Tür, sein Gesicht verstört und von bleichem Oliv, und hinter ihm ein Mann mit einer Augenklappe. Sie lebten beide noch! Kiril verspürte das Bedürfnis, sie mit lauten Freudenschreien zu begrüßen, aber seine Zunge ließ seine Worte nicht auskommen. Mörderischer Durst quälte ihn.
    Nie in seinem ganzen Leben hatte er sich elender gefühlt. Aber jedes kleine zusätzliche Elend, welches ihn für sich genommen schwach und krank gemacht hätte, schien die Gesamtsumme eher zu verringern. Er schien aus seinem Schmerz und Unbehagen Stärke zu ziehen.
    Es war den Gruppen nicht gestattet, sich zu vermischen. Sie wurden an den gegenüberliegenden Wänden hochgestoßen, und man befahl ihnen, sich gerade hinzustellen, wenn sie nicht die Beine verlieren wollten. Eisenstäbe schnellten aus der Decke und umschlossen sie, so daß ihnen gerade eben genug Raum blieb, flach gegen die Wand gepreßt zu stehen. Sie konnten nichts tun, als zu ihren Gefährten in dem anderen Käfig hinüberzublicken. Bar-Woten streckte die Hand nach Kiril aus und gestikulierte schwach. Ein Posten hieb mit dem Gewehrkolben darauf.
    Schläuche voller lauwarmen Wassers wurden auf sie gerichtet. Die Luft erfüllte sich mit Dampf, als das Wasser gegen die kalten Wände sprühte. Blut, Schmutz, Urin und Kot wurden von den Gefangenen abgewaschen und strudelten durch die Abflüsse in der Mitte des Raumes davon.
    Kiril schätzte, daß an die hundert von ihnen hier waren. Nun erschauerten sie wieder in der Nässe und schrien ob des Schmerzes beim Auftauen. Kiril fand sich plötzlich hoch droben auf einer Ebene ruhiger Losgelöstheit. Er schaute auf die Gefangenen und ihre Fänger hinab und sah nur närrische, belangslose Tiere. Und was war dann er? Auch ein Tier, zeitweise aus der Sorge um seinen Leib aufgerüttelt, vielleicht, um an einem höheren Sinn für Humor teilzuhaben. Sie sahen alle lächerlich aus – wie sie da von lächerlich beschränkten Talenten heraufbeschworene Amateurrollen schauspielerten.
    Konnte er sich etwas Besseres ausdenken? Nein, gestand er sich ein. Er war keinen Deut besser. Bloß weniger blind.
    Eine zweite Dusche wurde über

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