Die Oder gluckste vor Vergnügen
schon über den Irrtum aufklären. Morgen könne die Stadt geschlossen nach Süden marschieren, wo sie hingehöre. Aber erst, wenn wir dort übernachtet hätten.
»Und im übrigen heißt sie nicht Graz, sondern Gartz. Kommen Sie, Cottachen.«
»Ich bin nicht Cottachen«, sagte Cotta und blieb auf der Straße sitzen.
»Dann fahre ich mit Bibi allein weiter!« Doch Bibi sah die Rücksichtslosigkeit gegen ein Weib — auch wenn’s nur die beste Freundin war — und zeigte Korpsgeist. Sie setzte sich neben Cotta.
»Karl der Zwölfte ritt in zwei Wochen vom Morgenland an die Ostsee«, sagte ich. »Hätte er Bibi und Cotta mitgehabt, säße er noch in Biesenthal.«
Da vergaßen sie ihre Müdigkeit, um ihr Geschlecht zu verteidigen.
»Wir Frauen beflügeln Männer!« schrie Bibi.
»Fesseln, umgarnen«, sagte ich. »Wie kann ein Gefesselter fliegen?«
Cotta richtete das Rad auf und brachte ein paar Sprüche gegen die Männer und für die Frauen.
»Schwachheit, dein Name ist Weib«, murmelte ich. Da saßen sie schon wieder auf den Rädern.
»Das Weib ist die Krone der Schöpfung!« rief Bibi.
»Krone? Napoleon hat gesagt, ein Weib hat keinen Rang.«
»Der kleine, dicke Mann!« rief Bibi, eifrig radelnd. »Der hatte wohl die Jungfrau von Orleans ganz vergessen, wie?« Die sei allen vorangestürmt. Und welches Format!
»Und Frauen sind furchtbar interessant«, meldete Cotta in schneller Fahrt hinter mir. »Der alte Sultan hat vergessen, Scheherazade zu köpfen, weil sie ihm tausendundeine Nacht Geschichten erzählte!«
»Frauen sind interessant? Warum heißt es dann die Langeweile?«
»Weil es der Esel heißt«, parierte Bibi.
»Sonne, Seele und Liebe sind weiblich«, sagte Cotta.
Mit siedenden Gehirnen sausten wir über Pommerns Grenze und näherten uns der Oder.
Ich sagte mit Schopenhauer, daß bei Frauen Charakter und Sinne getrennte Kasse führen. Das verstand Bibi nicht. Aber Cotta kam mit Stirnfalte vorübergeschwirrt. »Das möchten Sie wohl, was? Ha!«
Bibi rief: »Wenn die Frauen verblühen, verduften die Männer!« Das war aber eine Handgranate ins eigene Lager, denn es gab zu, daß Frauen generell verblühbar sind. Cotta zeigte Bibi einen Vogel. Bibi rief wütend: »Und die Männer? Glatze, Schnaps und Hosenträger!«
»Sirenen, Seekühe und Nixen!« rief ich. »Versprechen über Wasser, was sie unter Wasser nicht halten!«
»Wie?« schrie Bibi. Sie kam triumphierend vorbeigeradelt. »Das ewig Weibliche zieht euch hinan!!!!«
Patsch, da lag sie. Aber sie hatte gewonnen. Goethe, Faust, Schluß — schwerstes deutsches Kulturgeschütz, dagegen gab’s nichts.
Und nun sahen wir eine liebliche Ebene, Korngold, Himmel, Kirchtürme, das blaue Band der Oder, Oderland... Wir hatten unser Tagesziel erreicht.
Golden leuchtete das Zifferblatt der Ganzer Backsteinkirche. Viel Grün wuchs aus der Stadt heraus, es wucherte geradezu, und es war der schönste Anblick des Tages. Pommern begrüßte den Wanderer hübsch.
Oderbärte — Odersterne
»Hiiiii... Cotta...!«
»Huuuuu... Bibi...!«
Die beiden brausten im Wirtshauskeller.
Ich saß in der Schankstube, auf Eichenholz, das weicher war als alle Polster. Hier, vor dem Gasthof unter schattigen Bäumen, waren wir von den Rädern gekippt. Gartz an der Oder, dreißig Kilometer vor Stettin.
Wir gingen in die dunkle Gaststube und hatten die Augen noch voll Sonne. Der Schattenriß einer Wirtin.
»Frau Wirtin, hol sie den besten Wein und bring sie ihr schönes Töchterlein...«
Aber wir waren nicht an der Mosel, wir waren an der Oder. Hier war nichts mit Wein, und die Töchterlein brachte ich ja mit.
»Brausen« japste Bibi.
»Wasser!« hauchte Cotta.
Zwei Wasserhühner auf der Suche nach Wasserhähnen.
Ich kühlte mich inwendig mit Bier und schwieg mit drei schimmernden Bärten, die in den anderen Ecken saßen.
An den Grundfesten des Hauses klirrte eine Wanne. Es quietschten die Wasserhähne. Es quietschten Bibi und Cotta. Anscheinend lenkten sie die ganze Oder durch den Keller.
Da sagte einer der Alten voll Andacht: »Jo, jo.«
Aus den Ecken kam das Echo: »Jo.«
In den paar Silben lag ein ganzer Roman, ein Wälzer von tausend Seiten. Jugendzeit, Jugendzeit... Erinnerungsselig erknisterten die Bärte.
Ein Baß fragte, wo wir denn herkämen.
»Na, hier gibt’s nicht viel zu sehen für Berliner. Höchstens die Rosen von Künckel.« Die sollten wir uns mal angucken. Herr Künckel sei auch im Verein der deutschen Rosenfreunde.
Rosen im
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