Die Opferung
Stimme war sanft und beherrscht. »Ohne lebende Kinder würde die vormenschliche Kreatur in Kezia Mason sterben. Sie sieht aus wie eine junge Frau, aber sie ist eine unbeschreibliche Abscheulichkeit, die keine irdische Gestalt besitzt. Erst wenn die Alten erneuert sind, können sie von Gasen und Mineralien leben. In dieser Form benötigen sie Fleisch.«
»Und das hat Kezia Ihnen alles erzählt?«
»Sie musste es. Sie benötigte meine Hilfe. Brown Jenkin hatte herausgefunden, dass sie zur Zeit der nächsten Erneuerung die einzige noch lebende Hexe sein wird. Alle anderen sind verhungert oder an neuen Krankheiten ums Leben gekommen. Ihr zukünftiges Ich ist eine Frau hier aus dem Ort. Sie heißt Vanessa Charles, und sie ist schwanger und wartet auf den großen Augenblick. Aber ihr zukünftiges Ich muss ernährt werden. Sie muss für vier essen, wenn man es so ausdrücken will.«
Er schluckte trocken, dann fuhr er fort. »Mein Vater hatte sich geweigert, ihr auch nur eines der Kinder aus Fortyfoot House zu geben, also hat sie ihn getötet, wie ich später herausgefunden habe. Bevor ich verstand, was sie wirklich ist, war ich genauso von ihr fasziniert wie vor mir mein Vater. Wie Sie wissen, heirateten wir sogar. Körperlich war nichts an ihr, womit sie sich verraten hätte. Mit ihr zu schlafen war besser als mit jeder anderen Frau, die ich vor ihr gekannt hatte. Sie machte mich vermögend und erfolgreich, sie schaffte es, dass ich mich unglaublich euphorisch fühlte. Dann, eines Tages, verschwand eines unserer Kinder, der kleine Robert Philips. Er war gerade mal sechs Jahre alt. Gott steh mir bei. Ich fand seine Überreste im Wald zwischen Bonchurch und Old Shanklin Village. Seine zerstückelten, verbrannten, angefressenen Überreste. Ich werde nie den Anblick von menschlichen Gebissspuren an seinem abgenagten Hüftknochen vergessen. Am nächsten Tag entdeckte ich seine Pfeife und ein blutverschmiertes Taschentuch zwischen Kezias Sachen. In dem Moment wusste ich, dass ich etwas sehr Bösartiges geheiratet hatte.«
Der junge Mr. Billings schwieg so lange, dass ich bereits befürchtete, er wolle nicht weitersprechen. Dann endlich sagte er: »Sie versprach mir Geld, wenn ich den Mund hielt. Sie drohte, mich zu verstümmeln oder sogar umzubringen. Dann erzählte sie mir alles. Ihr ging es darum, dass Fortyfoot House so lange wie möglich geöffnet blieb, damit die Kinder frisch waren, wenn sie sie benötigte. Wenn es auch nur einen winzigen Hinweis darauf gegeben hätte, dass im Fortyfoot House Kinder missbraucht oder sogar getötet wurden, wären alle Kinder abgeholt und das Waisenhaus geschlossen worden. Um es ganz drastisch zu sagen, Sir, ist Fortyfoot House nichts weiter als ein Vorratslager für die unheimlichste und grässlichste Kreatur, die jemals auf dieser Erde existiert hat. Es ist ein Vorratsschrank voll mit lebenden Kindern.«
16. Zähne und Klauen
Ich starrte den jungen Mr. Billings an, während er mich mit ernstem Gesichtsausdruck betrachtete. Das Schamgefühl schien zu viel für ihn, also wandte er sich von mir ab. »Ich muss jetzt gehen«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob ich
Ihnen für das danken soll, was Sie mir gesagt haben, oder ob ich Sie verfluchen soll.«
»Sie können wenigstens Charity retten«, sagte er. »Bringen Sie sie so weit weg von Fortyfoot House wie möglich. Und sich selbst ebenfalls. Brown Jenkin kann Ihnen nicht sehr weit folgen.«
»Was ist mit den anderen Kindern? Ich bin vorhin einigen von ihnen begegnet.«
»Oh, ja. Ihr Geflüster und Umherlaufen hat mich aufgeweckt. Sie können sie nicht mitnehmen, fürchte ich. Wenn Sie es doch nur könnten. Aber Brown Jenkin würde vor Wut mindestens doppelt so viele Kinder ermorden. Er handelt völlig irrational.«
»Aber die Kinder werden so oder so sterben. Ich habe die Grabsteine gesehen.«
»Das Schicksal ist nicht unveränderlich, Sir, wie Sie selbst bereits festgestellt haben. Was wäre, wenn Sie Ihren Freund, den Reverend, unter dem Fußboden gelassen hätten? Was, wenn Sie mit ihm niemals durch den Durchgang gekommen wären? Unser Schicksal hat schon immer in unserer eigenen Hand gelegen. Das einzige Paradox ist, dass wir unser Leben nicht ändern, wenn wir die Chance dazu haben.«
Er ergriff meine Hand und hielt sie fest umschlossen. Es war ein unbeschreiblich seltsames Gefühl. Hier stand ich und hielt die Hand eines Mannes, der seit über hundert Jahren tot war. Ich fühlte mich wie auf einer Achterbahn kurz vor
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