Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
hoffte, den Heidenkrieg zu einem unblutigen Ende zu führen. Ich habe bewusst hundert Leben geopfert, um Tausende zu retten. Ich …
(Es kommt zu lauten Zwischenrufen aus den Reihen der Ritterinnen und Ritter, die dem Gericht beiwohnen. Der Ordensmarschall droht damit, den Saal räumen zu lassen.)
Die Angeklagte: Ganz gleich, was aus meinen Taten erwachsen sein mag, ich handelte stets mit den besten Absichten.
(Erneute Zwischenrufe.)
Würdest du deine Entführung der Prinzessin Gishild Gunnarsdottir einen Erfolg nennen?
Die Angeklagte: Nein, aber es war nicht vorherzusehen, dass ein Ordensbruder Verrat an uns üben würde und …
Sprich nicht von den Fehlern anderer! War es nicht dein Fehler, diesem Bruder zu trauen und ihm solche Verantwortung zu überlassen?
Die Angeklagte nickt erneut: Gewiss, es war mein Fehler.
Dir ist bewusst, welche Strafe die Ordensregeln für Fehler vorsehen, die den Bestand unseres Ordens so sehr gefährdet haben wie deine?
Die Angeklagte: Wer aber irregeleitet ist und wer den Orden in Gefahr bringt, gegen den soll selbst der niederste Novize mutig das Wort erheben. Und der Irregeleitete soll eingesperrt sein in einem Sarg aus Blei, bevor ihn das Leben verlässt, auf dass seine Seele niemals den Weg zum Lichte und zum Frieden finden mag und auf dass sie auch nicht umherirre und den Frieden der Lebenden störe.
(Anmerkung zum Protokoll: Die Angeklagte zitierte korrekt den CXXV. Artikel der Ordensregel.) …«
AUSZUG AUS DEM PROTOKOLL DES
EHRENGERICHTES, DAS ÜBER DIE VERFEHLUNGEN
DER RITTERIN LILIANNE DE DROY
ZU URTEILEN HATTE, SEITE VII ff. AUS DER
NIEDERSCHRIFT DES 2. VERHANDLUNGSTAGES,
FESTGEHALTEN AM DRITTEN TAG NACH DER SOMMERSON-
NENWENDE, IM ERSTEN JAHR DES GOTTESFRIEDENS
VALLONCOUR
Luc ging aufgeregt auf dem Vorderkastell der Sankt Clemens auf und nieder. Rings herum gurgelte und zischte die See und blies faulig stinkenden Schwefelatem in den Himmel. Inzwischen machte es ihm keine Angst mehr. Steuerbord waren schwarze Klippen zu erkennen. Backbord ließen sie sich im stinkenden Nebel nur erahnen. Er konnte spüren, wie sehr die Ruderer mit der Strömung des Tidenhubs zu kämpfen hatten.
Von der stattlichen Ordensflottille aus siebzehn Schiffen war im Augenblick nur die Galeasse Sankt Gilles zu erkennen. Sie lag ein Stück hinter ihnen und kämpfte so wie die Sankt Clemens mit der Strömung. Luc sah die anderen Knaben und Mädchen dort auf dem Vorderkastell. Drei Ritter waren bei ihnen.
»Warum sind wir nicht an Bord der Sankt Gilles gegangen? «
Michelle seufzte. »Das habe ich dir schon dreimal gesagt. Dort gab es keinen Platz mehr für uns.«
Luc wusste, dass man auf einer Galeasse nicht in einer Kabine übernachtete, sondern auf dem Deck. Und er konnte sehen, dass auf der Sankt Gilles noch genügend Platz für zwei weitere Fahrgäste gewesen wäre.
Im Stillen befürchtete er, dass die Ritterin ihn von den anderen Novizen fern halten wollte. Wahrscheinlich schämte sie sich seiner. Nie wieder war sie ihm so verbunden gewesen wie an jenem Nachmittag, als sie auf dem Brunnenrand gelegen hatten.
Sie mochte ihn noch immer, das konnte er spüren. Aber
nach der Begegnung mit dem fuchsköpfigen Kobold und seinem Opfer an die weiße Frau hatte sich ein Graben zwischen ihnen aufgetan, den er nicht zu überbrücken vermocht hatte. Dennoch war das vergangene Jahr das beste seines Lebens, einmal abgesehen von all den Stunden, die er sich mit dem Alphabet und der Mathematik herumgeschlagen hatte. Michelle hatte ihn schießen und fechten gelehrt. Er konnte schwimmen und war viel kräftiger geworden. Das Rapier seines Vaters war immer noch zu groß für ihn, aber er war zuversichtlich, schon vor seinem vierzehnten Namensfest damit fechten zu können.
Michelle war streng, aber gerecht. Doch etwas stand zwischen ihnen, worüber sie nicht reden mochte. Und dies war auch der Grund, warum er nicht auf demselben Schiff wie die anderen Novizen reisen durfte. Er hatte das ungute Gefühl, dass ihn eine Prüfung erwartete. Etwas, das Michelle nicht tun konnte oder wollte und worauf sie ihn auch nicht vorbereitet hatte.
Luc drehte eine weitere Runde über das Vorderkastell. Dann blickte er hinab zu den Rudern. Sie schlugen einen langsamen Takt und hielten das Schiff auf der Stelle.
Gestern früh war die Flotte in das Labyrinth aus Felsnadeln und kleinen Inseln vorgestoßen. Niemand, der seinen Verstand beisammenhatte, führte ein Schiff in solches Gewässer. Luc hatte die Angst
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