Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
dachte an die Ermahnung Michelles, dass Mut den Ausschlag geben würde. Gewiss wurde er jetzt beobachtet. Er straffte den Rücken. Dann ging er dem Haus entgegen.
Schwefel wucherte wie gelber Schimmel auf den Steinwänden. Es stank nach faulen Eiern. Unter der gelben Kruste konnte Luc die Reste von Angeln ausmachen. Es gab nicht einmal mehr eine Tür. Wer kam nur auf die Idee, an einem solchen Platz ein Haus zu errichten?
Luc trat ein. Nach der flirrenden Hitze des Nachmittags war es hier angenehm kühl. Der Junge stand in einem langen, schmalen Raum. Auf einer Seite befand sich eine steinerne Bank, und am Ende gab es eine Tür, die tiefer ins Haus führte. Rote Farbe blätterte in breiten Bahnen von ihrem grauen, verwitterten Holz.
Die Tür war nur angelehnt.
»Ist hier jemand?«
Luc erhielt keine Antwort. Er schob die Tür auf. Sie bewegte sich so leicht in den Angeln, als seien sie gerade erst gefettet worden. Ein großes Zimmer erwartete ihn. Die Fensterläden waren einen Spalt weit aufgeschoben, gerade genug, um den Raum in graues Zwielicht zu tauchen. Ein großer
Tisch stand der Tür gegenüber. Dahinter erhob sich ein Stuhl mit hoher Lehne. Mehrere Bogen Pergament lagen auf dem Tisch. Ansonsten war das Zimmer leer.
Es gab keine andere Tür. Luc hatte jetzt die beiden einzigen Räume des Hauses gesehen. Erlaubte sich jemand einen Scherz mit ihm? Vielleicht war derjenige, der ihn erwartet hatte, kurz ausgetreten? Die Ordensritter würden bestimmt keine Späße mit ihm treiben! Dafür war Michelle auf dem Ritt hierher viel zu ernst gewesen.
»Nicht hereingebeten werden und dann auch noch auf halbem Weg stehen bleiben … Das gefällt mir«, erklang eine polternde Stimme. Sie kam so überraschend, dass Luc einen erschrockenen Satz zur Seite machte.
»Huh! Ein ängstliches Kätzchen haben wir hier. Und du glaubst, dass etwas in dir steckt, aus dem einmal ein Ritter werden könnte, Luc? Zeig es mir! Ich vermag es bisher nicht zu sehen.«
Die Tür schwang zur Seite. Dahinter lehnte ein hünenhafter Mann an der Wand, ein Alter mit langem weißen Bart und wallendem weißen Haar. Er trug ein weißes Gewand, ähnlich einem Kleid, das ihm hinab bis zu den Knöcheln reichte. Das Gesicht des Alten wirkte wie aus der Form gerutscht. Eine hässliche Narbe zerteilte es. Sie lief von der Stirn hinab durch die linke Augenbraue, verschwand unter einer weißen Augenklappe und zerteilte die Wange. Beide Lippen waren gespalten und asymmetrisch wieder zusammengewachsen. Die Oberlippe war ein wenig zurückgezogen. Die Zähne dahinter fehlten.
»Ich bin Bruder Leon. Und bevor du weiter gaffst und dich fragst, wie man es schafft so auszusehen, erzähl ich es dir lieber gleich. Das alles verdanke ich meinem Helm. Eine erstklassige Arbeit aus Silano. Ohne den Helm würde mein halber
Kopf auf irgendeinem Schlachtfeld in Drusna vermodern, und du hättest das Glück, hier von einem anderen erwartet zu werden. Weißt du, wie Elfenreiter Köpfe spalten?«
Er machte eine schwungvolle Bewegung mit dem Arm.
»Sie halten ihre Schwerter hoch, und in dem Augenblick, in dem sie an dir vorbeireiten, lassen sie es nach unten schwingen. So bekommst du die Klinge auf ganzer Länge ins Gesicht. Und wie du siehst, schneidet Elfenstahl durch Helm und Visier wie durch morsches Pergament. Nur rechte Dickschädel vermag er nicht zu spalten.«
Leon erzählte das alles in einem umgänglichen Tonfall, aber das Lächeln seiner gespaltenen Lippen, das seine Worte begleitete, empfand Luc als zutiefst beunruhigend. Er war sich unsicher, was er von dem Alten halten sollte.
»Bist du ein Dickschädel, Luc? Würdest du einen solchen Schwerthieb überleben?«
»Das weiß ich nicht, Herr.«
»Was jetzt? Ob du ein Dickschädel bist oder ob du überleben würdest?«
»Beides, Herr.«
Der Alte sah ihn durchdringend an. Sein verbliebenes Auge war von rauchigem Blau. Es wirkte hart. Gnadenlos. »Was weißt du denn? Sag mir, was für eine Sorte Mann aus dir werden wird!«
»Ein Ritter!«, entgegnete Luc, ohne zu zögern.
Leon lachte laut auf.
»Ritter kann sich jeder nennen, der eine Rüstung anlegt. Aber was steckt unter dem Stahl? Bist du feige oder mutig? Ein Verräter oder einer, der sein Leben opfert, um seine Kameraden zu retten? Das ist es, was ich von dir hören will.«
Während dieser Worte schnellte seine Hand vor, und er
rammte Luc den ausgestreckten Zeigefinger so heftig in die Brust, dass der Junge einen Schritt zurücktaumelte.
»Was in dir
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