Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
in seinem Wappenschild. Aber die Welt war nun einmal voller Blinder.
»Der Junge kommt aus Lanzac?«
Michelle war anzusehen, wie sehr ihr sein langes Schweigen zugesetzt hatte. Er lächelte, wohlwissend, dass sein Lächeln es für sie noch schlimmer machen würde. Niemand mochte sein Lächeln!
»Ja, so steht es in meinem Bericht.«
»Und er stammt nicht aus dem Geschlecht des Grafen?«
Leon spielte tief in Gedanken versunken mit seinem Bart. Der Name Lanzac sagte ihm etwas. Er musste in den Archiven nachsehen.
»Seine Eltern waren einfache Leute. Sein Vater war der Waffenmeister des Grafen.«
»So. Und seine Mutter, war sie hübsch? Aufreizend? War sie vielleicht eine Schlampe, die im Bett ihres Grafen gelegen hat?«
Michelle sah ihn pikiert an. »Er redet nur gut von seiner Mutter. Luc sagt, sie sei sehr hübsch gewesen.« Die Ritterin zuckte mit den Schultern. »Aber das sagen wohl alle Söhne über ihre Mutter.«
»Keineswegs! Meine war eine fette Hure. Eine Fischfrau, die nach den Kadavern stank, die sie Tag für Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf dem Fischmarkt von Marcilla feilgeboten hat. Und sie hatte eine Schwäche für Seemänner. Eine so ausgeprägte Schwäche, dass ich mir meinen Vater unter einem halben Dutzend Kerlen aussuchen konnte. Fast jeden Tag habe ich von ihr Prügel bekommen. Aber ich habe mich gerächt. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht gut von meiner Mutter gesprochen.«
Michelle starrte irgendeinen nur für sie sichtbaren Punkt vor ihren Stiefelspitzen an.
»Ich glaube nicht, dass ich eine besonders schreckliche Kindheit hatte. So wie mir ergeht es Tausenden Kindern. Aber eines Tages, wenn das Licht Gottes gesiegt hat, dann werden wir eine vollkommene Welt erschaffen. Eine Welt, in der Kinder nur gut von ihren Müttern und Vätern reden. Eine Welt, in der Gottes Frieden herrscht und in der Ritter wie wir nicht länger gebraucht werden. Dafür leben und sterben wir, Michelle.«
Sie blickte zu ihm auf. Und in ihren Augen brannte wieder das alte Feuer. Sie war immer zutiefst überzeugt gewesen von diesen Idealen. Deshalb hatte sie Honoré an der Brücke über die Bresna den Befehl verweigert. Sie konnte es nicht ertragen, in einer Welt zu leben, in der Ordensritter Kinder töteten. Sie war bereit gewesen, für diese Überzeugung einen
Sieg zu opfern. Er mochte sie dafür, auch wenn er ihr das niemals sagen würde. Genauso wenig, wie er ihr sagen würde, dass seine Mutter in Wahrheit eine reiche Bürgerstochter aus Marcilla gewesen war und er sie tatsächlich geliebt hatte. Die Wahrheit war zweitrangig, wenn es galt, einen Ritter in Valloncour zu formen. Alles was zählte, war, dass die Ritter des Ordens vom Glauben durchdrungen waren. Ritter wie Michelle sollten in Valloncour geformt werden, und nicht solch gnadenlose Kämpfer wie Honoré. Aber noch brauchte die Welt diese Kämpfer notwendiger, um Gottes Krieg endlich beenden zu können.
»Hat er einen guten Eindruck gemacht?«, fragte Michelle.
Leon musste schmunzeln. Langsam wie eine Katze, die um eine Schüssel mit heißem Brei schleicht, näherte sie sich der einen, alles entscheidenden Frage.
»Ja. Er wird aufgenommen werden. Aber sag ihm das nicht. Er soll noch eine Weile im Zweifel bleiben. Bringe ihn morgen erst kurz vor der Zeremonie herbei. Komm dann zu mir und rede auf mich ein. Lass es für ihn so aussehen, als hättest du dich bis zuletzt für ihn eingesetzt und als sei es allein dir zu verdanken, dass er unter uns aufgenommen wurde.«
»Warum ist das notwendig?«
»Wir werden jemanden brauchen, dem er vertraut. Jemanden, den er in all seine Geheimnisse einweiht. Das wirst du sein, Michelle. Denn für mich ist es wichtig, dass die Person, mit der er teilt, was ihn im Innersten bewegt, vor mir keine Geheimnisse hat.«
Er legte die Hand auf ihren Bericht über den Jungen. Einen Bericht, der sein Todesurteil hätte sein können.
»Das kann ich nicht tun. Ich …«
»Du übst keinen Verrat, Michelle. Du hilfst ihm und unserem
Orden. Er ist wichtig. Und seine kindliche Unschuld hat dein Herz gewonnen, das sehe ich. In ihm steckt viel Gutes. Vielleicht wird er eines Tages einer der Besten unter uns sein. Aber er braucht Führung, um diesen Weg beschreiten zu können. Mehr als alle anderen Novizen. Außer vielleicht …«
Er schüttelte den Kopf. Davon musste sie nichts wissen. Es war besser, wenn er allein die Fäden in der Hand behielt.
»Du wirst seine Lehrerin sein.«
»Aber ich kann nicht
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