Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
…«
»Keine Sorge. Du wirst nicht Mathematik, Anatomie oder Taktik lehren. Du wirst die Fechtlehrerin der Novizen des siebenundvierzigsten Jahrgangs von Valloncour sein. Ich erinnere mich, dass du die beste Fechterin deines Jahrgangs warst. Du wirst deine Sache gut machen.«
Er sagte das so leichthin, doch wenn er daran dachte, wem sie begegnen würde, hatte er Zweifel. Auch auf sie würde er gut Acht geben müssen.
»Du warst eine Löwin, nicht wahr?«
Er hätte das nicht fragen müssen. Erst gestern hatte er ihre Akte gelesen. Er hatte gewusst, sie würde kommen und einen Jungen mitbringen. Und nicht erst seit er ihren Bericht bekommen hatte, war ihm klar, dass dieser Junge Schwierigkeiten machen könnte. Er wollte, dass sie an ihre alte Lanze dachte. Er wollte an ihren Stolz appellieren. An jene, die sie in Lanzac im Stich gelassen hatte. Die wenigen Überlebenden von Krieg und Pest.
»Ja, ich bin eine Löwin«, gestand sie.
Leon schmunzelte. Auch er hatte zu den Löwen gehört. Wahrscheinlich hatte der alte Primarch das damals wegen seines Namens so gehalten.
»Aus den Löwen sind die Besten und die Schlimmsten unseres Ordens erwachsen. Zu welcher Sorte gehörst du?«
Sie sah bedrückt aus.
»Frag meine Kameraden. Ich glaube nicht, dass sie mich zu den Besten zählen werden.«
»Wegen Honoré?«
Es arbeitete in ihrem Gesicht. Sie vermochte ihre Gefühle kaum mehr zu beherrschen.
»Dir ist doch klar, dass ich diese Dinge weiß. Das ist meine Aufgabe als Primarch.«
»Ja. Du wirst mich bestrafen.«
»Ich mache dich zur Lehrerin. Die meisten von uns betrachten es als eine Ehre, nach Valloncour zurückzukehren und Lehrer zu sein. Gilt das auch für dich?«
»Es kommt unerwartet.«
»Manchmal brauchen wir es, hierher zurückzukehren und eine Zeit zu verweilen«, sagte er gütig. »Valloncour gibt unseren Seelen Kraft. Wir alle kehren irgendwann hierher zurück. «
»Ja.«
Zufrieden sah er, dass sie wieder ins Gleichgewicht kam. Sie hatte zu viel in Drusna gesehen. Sie sehnte sich nach Frieden.
»Glaubst du wirklich, er könnte ein Löwe werden, Bruder Leon?«
»Würde dich das mit Stolz erfüllen?«
Sie nickte.
»Nun, Tjureds Wege sind unergründlich. Vielleicht macht er ihn zum Drachen, oder er ruft ihn zu den Türmen. Ich würde ihn zum Löwen machen. Warten wir auf das Wunder der Erweckung. Du wirst seine Zeugin sein, nicht wahr?«
Wieder nickte sie.
»Dann bete, dass er ein Löwe wird. Beten hilft.«
Die Entscheidung war längst gefallen. Außer ihm gab es
nur zwei Menschen, die wussten, dass morgen kein Wunder geschähe: zwei Wappenmaler, die übermorgen auf der Rückfahrt nach Marcilla ertrinken würden. Was sich morgen ereignen würde, mochte man höchstens als ein Wunder der Alchemie betrachten. Auf die scheinbar weißen Hemden der Novizen waren mit unsichtbarer Farbe ihre Wappen gemalt. Erst wenn diese Farbe mit dem schwefeligen Wasser der Erweckungsquelle in Kontakt kam, wurde sie sichtbar und entfaltete ein wunderbares, leuchtendes Rot. Es war gut, wenn die Novizen gleich am ersten Tag im Orden eines Wunders teilhaftig wurden. Das festigte ihren Glauben. Und es erneuerte den Glauben all jener, die der Erweckung zusahen. Es war besser, die Lanzen mit Bedacht zusammenzustellen, als ihre Entstehung so wie früher dem Zufall zu überlassen. Tjured liebte jene, die den Mut und den Willen hatten, seine Welt zu formen. Wer dabei irrte, den würde er schon zu Fall bringen.
»Bruder Leon?«
Sein langes Schweigen hatte sie vorbereitet.
»Ja?«
»Ist Luc ein Wechselbalg?«
Endlich war die eine Frage heraus!
»Das kann ich dir nicht sagen, Schwester. Ich habe ihn geprüft, und er hat mir widerstanden. Entweder, weil er besonders tapfer ist, oder weil er tatsächlich das ist, was du befürchtest. Aber sorge dich nicht. Eines weiß ich ganz sicher. Wenn er ein Wechselbalg ist, dann wird er die sieben Jahre in Valloncour nicht überleben. Er ist nicht der Erste, den uns die Anderen schicken. Aber die Zeit und Gottes Kraft richten sie alle. Er kann uns nicht verraten. Nicht einmal unwissentlich. Einen Wechselbalg erwartet hier nichts als sein Verderben.«
DIE ORDENSBURG
Alles wird gut, sagte er sich immer wieder. Es muss gut werden! Sonst wäre er doch gar nicht bis hierhergekommen. Michelle hatte ihn zurück auf den Weg gebracht, dem die anderen Novizen gefolgt waren. Einen halben Tag lang waren sie durch eine vom Krieg gezeichnete Ebene den Bergen entgegengeritten. Er konnte nicht
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