Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
sich eine Burg nach alter Bauart, mit mächtigen Wällen und hohen Türmen. Und überall in dem Tal standen Türme. Wie Pilze schossen sie aus dem Boden. Manche drängten sich in Gruppen auf Hügelkuppen oder an
jenen Stellen, wo sich kleine Landzungen in den See schoben. Andere standen einzeln in den Waldflecken, die den Talgrund sprenkelten, oder auf Felsnasen der Steilwände.
Luc hatte mehr erwartet. Er konnte es nicht benennen. Der Hafen in dem riesigen Felstrichter … der war eindrucksvoll! Aber das hier … Das war … Ihm fiel kein passendes Wort ein. Bestimmt lag es daran, was die Ritter hier erlebten, dass sie dieses Tal so sehr in ihr Herz schlossen. So wie Luc sein Dorf Lanzac mochte, obwohl es nichts Besonderes war. Er rechnete nicht damit, es jemals wiederzusehen. Aber er würde es immer als einen Schmerz in seinem Herzen tragen.
Verstohlen blickte er zu Michelle. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie hatte zu selten gelächelt in letzter Zeit. Ihre Hände lagen gefaltet auf dem Sattelknauf. Sie hatte sich ein wenig vorgereckt. Ihre Züge waren entspannt. Endlich merkte sie, dass er sie ansah.
»Und? Wie gefällt es dir?«
Er zögerte. Er wollte sie nicht verletzen, wo doch so offensichtlich war, dass sie gern hierher zurückkehrte.
»Es sieht friedlich aus.«
Sie lachte. Es war ein glockenhelles, freies Lachen.
»Du meinst wohl langweilig!«
»Das habe ich nicht gesagt!«, protestierte Luc.
»Aber gemeint, Junge. Du hast es gemeint!« Sie lachte wieder. »Glaubst du, ich wüsste nicht, was in deinem Kopf vor sich geht? So lange ist es nicht her, dass ich zum ersten Mal auf diesem Hügel war. Das Herz voller Erwartungen. Den Kopf voller fantastischer Träume. Und als ich das hier vor mir sah, dachte ich nur noch: O Gott! Wie fürchterlich wird es werden, in diesem Tal sieben Jahre zu verbringen.«
Luc war unangenehm berührt davon, wie leicht sie ihn
durchschaute. Und dann fröstelte es ihn. Er dachte an Leon. Einen Herzschlag lang spürte er den leicht salzigen Geschmack des glatten Auges auf der Zunge. Er spürte, wie es sich in seinem Mund bewegt hatte. Und er fragte sich, was Leon gesehen haben mochte. Welche Geheimnisse in ihm verborgen waren, die er selbst nicht einmal erahnte.
»Es würde dir schon noch gefallen. Vertraue mir, Luc. Besser als dir je ein Ort zuvor gefallen hat. Und dein Leben lang würdest du dich dann danach sehnen, hierher zurückzukehren. Die Heimkehr nach Valloncour, das ist unser aller letzte Reise.« Die Worte klangen wehmütig. »Bist du immer noch fest entschlossen, einst ein Krieger der Neuen Ritterschaft zu sein? Willst du wirklich zu uns gehören? Ist das dein innigster Wunsch? Jetzt ist die letzte Gelegenheit, in Ehren umzukehren. Wenn der Primarch dir morgen verweigert, dich zu den Novizen zu gesellen, dann erwartet dich ein Weg zurück in Schande.«
Luc ließ sich Zeit mit der Antwort. Sein Blick schweifte über das weite Tal mit all den seltsamen Türmen. Wohin sonst sollte er gehen? Er drängte all seine Zweifel aus den letzten Monden beiseite.
»Dies ist der Platz, an den ich gehöre!«
Er sagte das mit einer Entschlossenheit, die ihn selbst überraschte.
Michelle sah ihn unverwandt an. Wieder lächelte sie.
»Ich werde alles tun, was ich kann, um Leon von dir zu überzeugen. Nun komm! Hier ganz in der Nähe gibt es eine Jagdhütte. Dort werde ich dich auf den morgigen Tag vorbereiten. «
»Was ist noch zu tun?«
Sie sah ihn auf eine Art an, wie sie es nicht mehr getan hatte, seit sie den Rosengarten verlassen hatten.
»Wir werden miteinander fechten, bis dir schier die Arme abfallen. Wenn du zu den Novizen gehörst, dann sollst du der beste Fechter in deiner Lanze sein! Und wenn wir beide erschöpft sind, dann werden wir zusammen im hohen Gras liegen, den Wolken zusehen und von unseren Träumen reden.«
Luc hatte ein Gefühl, als reiße eine eiserne Fessel, die sein Herz umschlossen gehalten hatte. All seine Sinne schienen weiter zu werden. Plötzlich spürte er die leichte Brise auf den Wangen. Hoch über sich hörte er den schweren Flügelschlag eines Raben, der zwischen den Felsen aufgestiegen war. Der Duft, den Zedern in der Sommerhitze verströmen, stieg ihm aus dem Tal entgegen. Und plötzlich sah er die alte Burg, den See, die Türme und die friedlichen Waldflecken mit anderen Augen. Und er glaubte Michelle, dass er an diesem Ort glücklicher als irgendwo anders werden könnte.
DAS ENDE DER KINDHEIT
Der helle Klang der Klingen
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