Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
scheint, hat er sich an der Leiche vergangen. Es heißt, das Leichenhemd sei über der Brust der Toten zerrissen gewesen. Da er solches Interesse an Toten hatte, hat man ihn zu ihnen gelegt, in eine Gruft. Lebendig, versteht sich.«
Wieder begann Leon an seiner Augenklappe zu nesteln. Diese Nachricht gefiel ihm nicht. Da stimmte etwas nicht.
»Du bist sicher, dass es niemand anders gewesen ist?«
Sein Gast setzte wieder sein süffisantes Lächeln auf.
»Ich war nicht zugegen. Wie kann ich da sicher sein? Der Priester behauptete, eine Heilige habe ihm befohlen, das Grab zu öffnen. Damit hat er sich keinen Gefallen getan.«
»Und wenn es die Wahrheit war?«
Jetzt erlaubte sich der Besucher ein leises Lachen.
»Ich bitte dich, Bruder … Welches Interesse sollte eine Heilige am Grab einer Heidenprinzessin haben …«
»Ein Grab, in dem diese Prinzessin nicht liegt. Vielleicht wollte sich jemand überzeugen, ob dort die richtige Leiche beigesetzt wurde.«
»Bruder, wer sollte unbemerkt in den Totenturm der Heptarchen gelangen? Da müsste man schon fliegen können.«
»Und wenn es König Gunnar und die Anderen waren?«, wandte Leon ein.
Sein Gegenüber lachte ein wenig lauter, und der Primarch hatte plötzlich das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein. Sein Besucher hatte ihn nun offenbar genau an der Stelle, an der er ihn hatte haben wollen.
»Dann, mein Bruder, wäre es wohl besser, wenn wir Gishild auch begraben würden. Es muss ja nicht lebendig sein. Ich bin ja kein Unmensch.«
»Bringst du gerne Kinder um?«
Sein Gast hielt seinem stechenden Blick stand. Leon begriff nicht, was im Kopf seines ehemaligen Schülers vor sich ging, und er bedauerte es, ausgerechnet ihn zum stellvertretenden Leiter des Kontors gemacht zu haben. Während der eigentliche Leiter die Tarnung aufrechterhielt, erfüllte der hagere Ritter den geheimen Zweck des Kontors. Seine eigentliche Aufgabe. Er kontrollierte das Netz von Spitzeln, das der Orden unterhielt.
»Mit Verlaub, Bruder Primarch, all mein Streben dient einzig dem Wohl des Ordens. An der Bresna waren es die Drusnier, die ihre Kinder als Schild gegen uns nutzten. Und welchen Sinn hat ein Schild? Er ist dazu da, einen Schlag aufzufangen. Wer also hat gegen die Regeln der Ritterlichkeit verstoßen?«
»Und wessen Schild ist Prinzessin Gishild?«
Einen Moment schien sein Besucher verwirrt. Dann schüttelte er den Kopf. »Sie hat keinen Nutzen mehr für uns. Man hält sie in Aniscans für tot. Die Heptarchen werden nicht anerkennen, dass sie noch lebt. Damit würden sie eingestehen, dass irgendein dahergelaufenes Mädchen zwischen den Gebeinen der Heiligen im Totenturm beigesetzt wurde. Was bedeutet uns Gishild also noch?«
»Was schadet es, sie am Leben zu lassen?«
Der Ritter seufzte. Langsam schien er aus der Fassung zu geraten.
»Bruder! Sie ist eine Heidin, durch und durch! Eine Mörderin der Anderen war ihre Lehrerin. Selbst ihr Magister, Drustan, hält sie für gefährlich! Sie ist aufsässig und verweigert sich den Lehren unseres Glaubens. Sie wird einen schlechten Einfluss auf die übrigen Novizen in ihrer Lanze haben, vielleicht sogar darüber hinaus. Du weißt doch, ein fauler Apfel verdirbt alle anderen. Wir müssen sie entfernen.«
»Dein fauler Apfel hat einen ihrer Kameraden vor dem Ertrinken bewahrt. Ich schulde ihr ein Leben.«
»Wir müssen sie ja nicht gleich öffentlich hinrichten. Vielleicht hat sie einen Unfall. So wie die beiden Wappenmaler.«
Leon konnte sehen, wie seinem Gegenüber die Frage auf den Lippen brannte, warum die beiden Männer sterben mussten. Aber er war klug genug zu ahnen, dass auch sein Leben verwirkt sein könnte, wenn er wüsste, was ihnen den Tod gebracht hatte. Dem Primarchen taten die Männer leid. So wie ihm jedes Jahr die Toten nach dem Mittsommerfest leidtaten. Aber es durfte niemals herauskommen, dass er als der spirituelle Führer des Ordens Wunder fälschte. Wer das auch nur ahnte, war des Todes.
»Du selbst hast mir vorgehalten, dass für die Prinzessin weit über hundert unserer Brüder und Schwestern gestorben sind. Sie alle hätten ihr Leben umsonst gegeben, wenn wir Gishild jetzt umbrächten. Ich glaube an die Vision unserer Schwester Lilianne. Wenn wir Gishild in unserem Sinne erziehen und sie zurück ins Fjordland schicken und ihr helfen, ihren Thron zu erobern, dann werden die Heidenkriege endlich ein Ende haben. Die Aussicht auf einen friedlichen Sieg ist es wert, ein Wagnis einzugehen.«
»Und
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