Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
Wenn er stirbt, wird jeder glauben, wir seien es gewesen.«
Der alte Ritter rieb über seine Augenklappe. Die Wunde darunter juckte wieder einmal. Er sollte nicht daran kratzen. Nicht einmal an der Augenklappe. Obwohl so viele Jahre seit dem Säbelhieb des Elfenritters vergangen waren, entzündete sich das Narbengewebe immer wieder.
»Darf ich etwas vorschlagen, Bruder?«
Leon blickte auf. Er ahnte, was kommen würde.
»Wir sollten Lilianne vor ein Ehrengericht des Ordens bringen. Wenn wir sie für die Ereignisse in Drusna zur Verantwortung ziehen … Wenn sie verurteilt und der Garotte übergeben wird, dann würde das Bruder Charles vielleicht besänftigen. Zumindest wäre es ein deutliches Zeichen an die Heptarchen.«
»Wäre es ein Zeichen? Oder wäre es eine Gelegenheit für dich, Michelle zu treffen, indem du gegen Lilianne vorgehst?
Ist das der Rat eines Mannes, der noch weiß, was er tut? Oder der Rat eines verstoßenen Geliebten, der auf Rache sinnt?«
»Ich bitte dich, Bruder! Mein Herz gehört dem Orden. Nun, da Tjured ein Wunder an mir wirkte, mehr denn je.«
Er lehnte sich zurück und hob den Kopf leicht an.
»Ich versuche, mit all meiner Kraft Schaden von uns abzuwenden, und es kränkt mich zutiefst, dass du mir so niedere Beweggründe für mein Handeln unterstellst. Lilianne hat dem Orden schweren Schaden zugefügt. In Charles ist uns ein mächtiger Feind erwachsen! Und sie hat in Drusna an einem einzigen Tag mehr von unseren Brüdern und Schwestern in den Tod geführt, als in zwei Jahren aus den Reihen der Novizen nachwachsen werden. Weit über hundert Tote! Wir sind ein kleiner Orden. Wir können es uns nicht leisten, so verschwenderisch zu sein!«
Wenn man ihn so sah und hörte, mochte man tatsächlich glauben, dass er es aufrichtig meinte. Verstellte er sich? Leon wusste es nicht zu sagen. Vielleicht trübte auch sein Vorurteil den Blick auf ihn. Er war immer schon sehr ehrgeizig gewesen.
»Wo wir davon sprechen, Schaden vom Orden abzuwenden …«
Der Besucher tastete über seine Brust, dort, wo die grässliche Wunde sitzen musste. Die Heiler hatten Leon davon berichtet. Das Fleisch wollte sich nicht schließen, und doch wollte die Wunde ihn auch nicht töten. Aber sie zehrte ihn immer weiter aus.
»Was macht der Junge? Ist er auffällig geworden? Du weißt, was ich davon halte, dass er hier in Valloncour ist.«
»Ich habe ihn geprüft!«
Sein Besucher bedachte ihn mit einem spöttischen Lächeln.
»Natürlich. Und wann werden wir ihn auf die richtige Art prüfen?«
»Er ist zu jung. Er könnte sterben!«
»Wenn er ein Wechselbalg ist, dann wird er auf jeden Fall sterben. Ganz gleich, wie alt er ist.«
»Ja.« Leon rieb sich wieder über die Augenklappe. »Welchen Schaden kann er denn anrichten? Es ist besser, wenn er noch etwas älter wird.«
»Wenn er das ist, wofür ich ihn halte, dann ist jeder Tag hier zu viel.«
Leon bezwang den Juckreiz. Was bildete der verdammte Kerl sich ein! »Sprichst du mir meine Befähigung ab, Entscheidungen zu fällen, die den Glauben und die Geheime Bruderschaft betreffen?«
Er sagte das mit ruhiger Stimme. Bedrohlich ruhiger Stimme.
»Selbstverständlich nicht, Bruder. Dein Alter gibt dir eine Weisheit, die ich nicht mit dir teile.«
Du verdammte Kröte, dachte Leon, der sehr wohl verstanden hatte, wie das vermeintliche Kompliment gedacht war.
»Gibt es noch weitere schlechte Nachrichten?«
»Ich weiß nicht, ob es von Bedeutung ist, aber im Grabturm der Heptarchen wurde ein Grab geöffnet.«
Er sagte das so betont unbeteiligt, dass Leon auf der Hut war.
»Und?«
»Auf der Grabplatte stand: ›Gishild Gunnarsdottir, Eine verlorene Seele.‹ Sie haben die Prinzessin begraben. Vielleicht sollten wir das auch tun.«
»Ich kenne keine Prinzessin!«
Sein Gast lächelte herablassend.
»Bruder, du musst mir nichts vormachen. Es ist meine Aufgabe
zu wissen, was man verbergen will. Und ich erfülle meine Aufgabe gut. Natürlich weiß ich, wer die Novizin Gishild wirklich ist, auch wenn ihr sie dazu gebracht habt, dass sie nicht ihren vollen Namen nennt und verschweigt, dass ihr vielleicht einmal der Thron des Fjordlands gehören wird. Treiben wir keine Maskerade, Leon!«
»Du sagtest, das Grab wurde aufgebrochen?«
Der Primarch wollte auf dieses Thema nicht weiter eingehen. Er hätte wissen müssen, wie schwer es war, vor dem stellvertretenden Leiter des Handelskontors ein Geheimnis zu verbergen.
»Ein fehlgeleiteter Priester. Wie es
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