Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
klug … Und vielleicht hatte die Komturin ihr tatsächlich das Leben gerettet, als sie ihr den Schädel kahl geschoren und sie aus Paulsburg entführt hatte.
Den Plan, Lilianne zu erschießen, hatte sie fürs Erste aufgegeben. Sie würde niemals von hier entkommen, wenn sie die ehemalige Komturin tötete. Und Gishild hatte beschlossen, dass es wichtig war zu überleben. Sie würde sehr genau hinhören, wenn ihre Lehrer von Schlachten und Strategie erzählten. Sie wollte die Ordensritter verstehen. Sie wollte denken
wie sie. Kinderkram wie der Buhurt interessierte sie nicht. Aber fast alles andere.
Die Götter ihrer Heimat hatten einen Plan verfolgt, als sie ihr Schicksal woben. Es hatte einen tieferen Sinn, hier zu sein. Nichts geschah zufällig. Wenn sie aus Valloncour floh, dann würde sie die Ritter besser kennen als irgendein anderer Fjordländer. Ja, besser selbst als die Kinder Albenmarks. Sie würde ihnen eine tödliche Feindin sein!
Eines jedoch machte ihr zu schaffen. Je länger sie bei ihnen lebte, desto schwerer fiel es ihr, sich ein klares Bild von Gut und Böse zu bewahren. Sie waren der Feind, rief sie sich immer wieder in Erinnerung. Sie durfte keinen von ihnen mögen! Sie dachte an die Lehre Silwynas. Manche der Ritter waren geschickt darin, Herzen einzufangen, so wie Michelle. Vor ihnen musste sie sich besonders hüten! Sie durfte nicht vergessen, wer sie war und dass sie nicht hierhergehörte.
»Ich werde mir treu bleiben«, sagte Gishild leise, aber mit eindringlicher Stimme. »Immer!«
Dann wiederholte sie die Worte. Wieder und wieder … Doch all das half nicht. Sie machten ihr keinen Mut. Im Gegenteil! Mit jedem Mal, da sie sie aussprach, fühlte sie sich einsamer.
Und dann sah sie den Schatten an der Tür zur Baracke der Löwen. Die dunkle Gestalt blickte zu ihr herauf. Einen Augenblick verharrte sie – und kam in ihre Richtung.
DER TURM DER ZWÖLF PFORTEN
»Schon seit unserer letzten Versammlung wissen wir, dass der Erzverweser von Drusna, Bruder Charles, verstorben ist. Doch nun haben meine Spitzel neue Nachrichten über seinen Tod gebracht. Beunruhigende Nachrichten!«
Leon lauschte dem stellvertretenden Leiter des Handelskontors. Der Mann sprach leise. Er war ganz im Schatten einer der zwölf Nischen im Runden Kuppelsaal verborgen. Der Saal war leer. Fackeln in eisernen Haltern brannten an der Wand. Den weißen Steinboden schmückte das Mosaik eines riesigen Blutbaums.
Ihre Treffen fanden in aller Heimlichkeit statt. Jeder von ihnen trug eine Maske. Aber sie waren so wenige, dass es nichts zu verbergen gab. Der Primarch wusste, dass nur sechs der Nischen besetzt waren. Zu mehr als der Hälfte waren sie Krüppel oder alte Männer. Nur Nicolo, Alvarez und Jerome waren im Vollbesitz ihrer körperlichen Kräfte. Doch das war nicht, worauf es ankam. Sein Lehrmeister, Bruder Alain, war durch eine Verwundung im Nacken gelähmt worden. Dreißig Jahre lang hatte er sich nicht durch eigene Kraft bewegen können. Alain hatte nicht einmal ohne Hilfe essen können. Und doch hatte der ehemalige Primarch stärkeres Blut in seinen Adern gehabt als irgendein anderer in dieser Runde hier. Und einen eisernen Willen hatte er gehabt. Er hatte den Sieg der Neuen Ritterschaft auf dem Konzil von Iskendria errungen. Aus seinem Grabturm würde er auferstehen, wenn er wüsste, wie schlecht es um sie stand.
Ihr Bruder aus dem Kontor hatte eine Pause gemacht, um die dramatische Wirkung seiner Worte zu unterstreichen.
Dummer Schwätzer, dachte Leon. Es tat ihm inzwischen leid, ausgerechnet ihn zum Wächter über die Spitzelnetze des Ordens gemacht zu haben. Doch nun war es zu spät, daran noch etwas zu ändern.
»Bruder Charles wurde ermordet. Eine Wahrheit, die der Orden vom Aschenbaum und die Heptarchen zu verbergen suchen. Vor allem vor uns, denn sie glauben, wir seien die Mörder.«
»Wie kommen sie darauf?«, fragte Jerome in ehrlicher Entrüstung.
Leon musste lächeln. Bruder Jerome war ein guter Truppenführer und erfüllt vom Glauben an seinen Orden. Gegen die Intrigen innerhalb der Kirche war er blind.
»Nun, sie haben guten Grund dazu«, setzte der Anführer der Spitzel seine Ausführungen fort, und Leon glaubte, eine Spur gehässiger Genugtuung in seiner Stimme zu hören. »Man hat Charles nicht nur einfach umgebracht. Sein Mörder hat ihn gefoltert. Der Erzverweser hatte einen schweren Tod. Und mit ihm sind auch seine Leibwächter gestorben. Und das inmitten einer schwer bewachten
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