Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
sie in das Herz ihres Vaters, sodass die beiden nun in der Dunkelheit der Gruft wieder vereint waren und Asla zuletzt an jenen Ort zurückfand, an dem sie nie ihren Platz verloren hatte. Aus jener Eichel erwuchs der mächtige Baum auf dem Grabhügel.
An jenem Tag, als Gishild Silwyna zum ersten Mal gesehen hatte, da war das Märchen lebendig für sie geworden. Die Elfe hatte etwas Düsteres an sich gehabt. Vom Augenblick ihrer Ankunft an hatte sich ihr ganzes Leben verändert, dachte Gishild. Königin Emerelle hatte Silwyna gesandt, um künftig ihre Lehrerin zu sein. Warum sich die Königin Albenmarks so sehr um die Erziehung der Prinzessin des Fjordlands sorgte, blieb ihr Geheimnis. König Gunnar hatte begeistert zugestimmt. Einige der berühmtesten Ahnen ihres Geschlechts waren eng mit den Elfen verbunden gewesen. Silwyna als Lehrerin zu gewinnen, war ein Versprechen auf künftigen Ruhm. Was sie selbst davon hielt, hatte sie niemand gefragt, erinnerte sie Gishild verärgert. Sie war ja nur eine Prinzessin. Da hatte man zu gehorchen.
Gishild blickte hinab zum Wald. Eines Nachts würde Silwyna aus den Schatten treten. Sie würde zur Baracke kommen und Drustan töten. Die Prinzessin wünschte sich den Tod des einarmigen Ritters nicht, aber sie würde Drustan auch keine Träne nachweinen. Er war hart und ungerecht, ein schlechter Lehrer. Vor allem Luc gegenüber. Mal überschüttete er den Jungen mit Lob für irgendwelche banalen Kleinigkeiten, und dann wieder bestrafte er ihn für Dinge, die kaum der Rede wert waren. Es gab fast keinen Tag, an
dem Luc nicht eine Runde mehr als alle anderen um den See laufen musste. Niemand musste so oft die Baracke putzen, in der Burg Essen holen oder lästige Botengänge erledigen. Nicht einmal sie. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass Drustan sie gerade deshalb mochte, weil sie aufsässig war. Anders konnte sie sich nicht erklären, dass Luc, der immer sein Bestes gab, um es dem Magister recht zu machen, so oft bestraft wurde.
Gishild schloss die Augen und lauschte auf den Wind. Sie stellte sich vor, wie die Elfe sie holen käme. Eines Nachts würde sie erwachen, weil sich ihr eine schmale Hand über den Mund legte. Und erschrocken würde sie in Wolfsaugen blicken. Silwynas Augen! Und ihre Lehrerin würde sie mitnehmen.
Die Prinzessin dachte an eine andere, lang zurückliegende Nacht, als Silwyna sie überraschend aus dem Bett geholt und zu der alten Eiche auf dem Hügelgrab der Königsfamilie geführt hatte. Damals hatte sie vor Furcht geschlottert. Sie hatte Silwyna noch nicht gut gekannt und Angst vor der Dunkelheit und den Toten gehabt. Noch ganz deutlich erinnerte sie sich an diese Nacht. Wie Knäuel schwarzer Schlangen waren ihr damals die Wurzeln der Eiche erschienen. Der Stamm des Baumes war so mächtig wie ein kleiner Turm. Im Sommer lag der ganze Hügel im Schatten seiner weit ausladenden Äste.
Silwyna hatte ihr auf dem Grabhügel eine Eichel in die Hand gedrückt. Ganz sicher kannte die Elfe die Geschichten, die sich um Alfadas und Asla rankten. »Diese Eichel, das bist du, Prinzessin«, hatte sie gesagt und dann auf den Baum gedeutet. »Und das sind tausend Jahre.«
Bei diesen Worten hatte sich Gishild klein und unbedeutend gefühlt.
Die Elfe musste ihr wohl angesehen haben, was sie dachte. Und sie war in umgänglicher Stimmung gewesen, und Gishild erinnerte sich genau an ihre Worte:
»Auch dieser Baum hat einmal als eine Eichel begonnen. Die Sturmwinde werden auf dich eindreschen, meine kleine Freundin. Sie werden versuchen, dich zu beugen und zu verdrehen. Es liegt allein an dir, ob es ihnen gelingen wird. Stemmst du dich zu entschieden gegen die Stürme des Lebens, dann wirst du zerbrechen. Beugst du dich aber jeder Bö, dann drückt die Zeit dir deine Krone in den Staub. Das ist die Herausforderung des Lebens: Nicht unterzugehen und sich selbst treu zu bleiben, ganz gleich, was alle Übrigen von einem denken.«
War sie sich noch selbst treu? Früher hatte sie nicht gegen alles aufbegehrt. Sie hatte Freunde gehabt … Sie war ganz anders gewesen. Aber mit künftigen Feinden des Fjordlands konnte sie doch keine Freundschaft schließen. Eines Tages würde sie gegen Joaquino, Luc, Bernadette und all die anderen Novizen in die Schlacht ziehen. Wie konnte sie da jetzt mit ihnen im Buhurt dafür streiten, dass ihre Fahne nicht in den Schlamm gestoßen wurde!
Sie mochte Michelle und ihre raubeinige Art. Vor Lilianne empfand sie inzwischen Respekt. Sie war sehr
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