Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Rossiglione unterdrückte hinter einer locker zur Faust geformten Hand ein Gähnen und verabschiedete sich bald. Auch die Rhythmussektion ergriff die Gelegenheit, um sich zu verabschieden.
»Wie dehnbar die Zeit ist«, sagte Holler, nachdem nur die beiden Frauen, Didi, einige Techniker mit jenem Glanz in den Augen, wie er durch jahrelangen begeisterten Alkoholkonsum entsteht, und er selbst übrig geblieben waren. »Wie lang eine Nacht sein kann, und wie kurz acht Jahre.«
Marens Blick lag nun auf ihm. Ihre Augen waren braun, und die Lider hingen an den Seiten etwas herab, wie halb zugezogene Vorhänge. Dazwischen begann die Nase in einem zarten Höcker, ein Gewimmel von Sommersprossen auf hellem Weiß, darunter ein kleiner Mund, der himbeerfarben war und ihn nichts anging.
»Ja«, sagte sie plötzlich.
»Tom«, sagte Diedrich und lachte, wie man über ein nicht unbegabtes, aber lächerliches Kind lacht, »Tom ist unser Philosoph. Er spielt jedes Stück philosophisch«, sagte er und meinte offenbar, ihn anpreisen zu müssen, wie einen Gebrauchtwagen mit durchlöcherter Ölpumpe. »Du legst ihm«, sagte Diedrich, der ihn zu verkaufen beabsichtigte, zu Maren, die er offenbar als Kundin auserkoren hatte, »einen ollen Jazzstandard hin, und Tom spielt ihn, und du denkst, du hörst ihn zum ersten Mal.«
Tom, der schnell einen großen Schluck von seinem Bier genommen hatte, hätte Diedrich gern das Schienbein kaputtgetreten, unterließ es aber, da er fürchtete, unter dem Tisch eine der Damen zu treffen. Aller Blicke ruhten nun auf ihm. Offenbarwurde erwartet, dass er etwas Philosophisches sagte, daher sagte er leise: »Mein Geheimnis ist, dass ich nicht übe. Ich spiele Fehler rein, und keiner merkt es, weil ich die Fehler wiederhole, es ist wie im Leben, man muss nur die Dinge wiederholen, dann bekommen sie einen Sinn.«
Erstaunte Blicke betasteten ihn, als hätte er wer weiß was gesagt, (was hatte er eigentlich gesagt?). Jetzt sagte er zu Maren: »Rauchst du?«, und obgleich es ihn dort nicht juckte, kratzte er sich hinter dem linken Ohr.
Nein, sagte sie, sie rauche nicht. Das heißt, sie habe sich eigentlich das Rauchen abgewöhnen wollen in Italien, aber es habe ohnehin keinen Zweck, sagte sie und seufzte hell, und es hörte sich an, als meine sie etwas viel Universelleres damit als nur das Rauchen.
»Wir sterben ja sowieso«, sagte Holler. Maren lachte, was sich anhörte wie das helle Klingeln eines Blechglöckchens. Vier Feuerzeugflammen beleuchteten ihr Gesicht, als sie sich eine Zigarette in den Mund schob, denn inzwischen hatte Diedrich auch die drei Techniker an ihren Tisch herübergewunken und die Stimmung wurde fröhlicher. Nach kurzem Zögern und mit einem Blick von unten durch die hellen Bürsten ihrer Wimpern entschied sie sich für Tom. Die Zigarette klemmte sie zwischen Mittel- und Ringfinger, und sie rauchte mit halb geschlossenen Augen, indem sie tiefe Züge einsaugte mit nach vorn gerecktem Kopf und den Pfeil des Rauchs nach draußen schoss. Das Rauchen stach von ihrer zierlichen Person ab wie ein Riss in einem Porzellangefäß.
Diedrich saß nah bei der italienischen Simona, es wird nicht lang dauern, dachte Tom, und er wird aus der Hand ihr die Zukunft herauslesen. Es wurde gelacht. Eine Runde Grappa blitzteauf einem Tablett. Prost, auf einen unvergesslichen Abend, und wie sagt man auf Italienisch?
Holler, während er trank, ging in sich hinein und forschte nach geeigneten Gesprächsthemen.
»Was machst du hier?«, sagte er endlich, was nicht originell war, aber ein erster Anfang sein konnte. Dabei stellte er sich vor, wie er diesen Mund küsste, aber dabei an Betty dachte.
»Ich würde gern noch eine rauchen«, sagte, statt einer Antwort, Maren, und wieder gab er ihr Feuer, blickte diesmal lange in diese fremden Augen hinein, und sie lächelte und senkte die Lider, während sie einen tiefen Zug nahm und dann den Rauch in einem steilen Winkel zur Seite blies. Tom konnte sich gar nicht erinnern, wann er eine Frau zuletzt mit derartigem Blick angesehen hatte, so tief, dass sie die Augen niederschlug. Es war berauschend, dieses Augenniederschlagen, und hinterließ ein jähes Brennen in seinem Bauch, fast wie der Grappa, von dem man inzwischen schon das dritte Glas geleert hatte. Er dachte an Betty, die direkt hinter Maren zu stehen schien, die ihrerseits etwas durchsichtig wirkte.
»Ich mache ein Praktikum hier am Theater, bei der Rossiglione«, sagte sie auf einmal und verdrehte kurz die
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