Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
oft gestritten in letzter Zeit, und sie sollten wieder einmal zusammen weggehen, findet er. Er hat Blumen dabei, die er jetzt raschelnd hinter seinem Rücken hervorzieht. Außerdem, flüstert er ihr ins Ohr, eine weitere Überraschung, die aber erst nach dem Abendessen verraten werde. Betty Morgenthal bleibt nichts übrig, als zu lächeln.
Alfredo kocht, während seine Ehefrau ein Buch durchblättert, in dem die Buchstaben einzeln herumspringen, ohne sich zu einem Sinn zu verbinden. Alfredo kocht, während seine Ehefrau eine Schachtel mit Dingen im Wohnzimmer vom Tisch auf einen der Kartons im Flur räumt und wieder zurückräumt, dann eine Spinnwebe aus einer Ecke entfernt, in einen kleineren Karton hineinschaut und wieder hinausschaut, er kocht, während sie im Badezimmer steht und nach dem Händewaschen lange Zeit vor dem Spiegel verharrt, vor diesem Gesicht, das sie ansieht und ansieht.
Endlich ist es Zeit, den Tisch zu decken, bevor ein pfeifender Alfredo mit seinem Spaghettitopf ins Esszimmer schreitet. Sie rückt ihm den Untersetzer in Form des Vesuv zurecht, und als er sich umdreht, um in die Küche zurückzugehen, hält sie ihn von hinten fest, umklammert mit den Armen seinen Oberkörper,drückt ihm fast die Luft ab. Eine stille Minute stehen sie so, nur beider Atmen ist zu hören, doch als er sich umwendet, sie umarmen will, hat sie ihn schon losgelassen. Sie muss ja am Tisch unbedingt noch die Teller richten. Gabeln, Messer, parallel, die Gläser. Sie betrachtet das Geschirr, Hand in der Luft auf Kopfhöhe, ob auch nichts fehlt, nein, mir fehlt ja nichts, und mit dem ausgestreckten Zeigefinger fährt sie sich quer über die Stirn, als ob sie etwas unterstreichen will.
Es wird gegessen. Spaghetti mit Auberginen und Mozzarella, aber sie spürt nur die Konsistenz der Lebensmittel in ihrem Mund, gummiartig, bissfest, soßenartig, als wäre sie krank mit einer hochgradig fiebrigen Erkältung. Sie versucht ein Lächeln, und sie lobt den Koch, der aber durch dieses Lob hindurch auf das Schweigen hört.
»Was ist?«, fragt er. »Nichts«, sagt sie und lächelt ein verwackeltes Lächeln. Sie essen. Ihre Essgeräusche unterstreichen, verstärken ihr Schweigen. Betty versucht, möglichst leise zu essen. Nicht oft, aber einige Male doch, hat sie überlegt, ihre Italien-Existenz vor ihm auszuziehen, sich nackt vor ihn hinzustellen, zu sagen, hör zu, ich liebe dich, aber ich bin nicht die Anästhesistin, ich bin nicht die Leserin, die du geheiratet hast, insgeheim langweilt mich die Literatur, langweilt mich Musil, Petrarca erst recht, wie mich eigentlich das ganze Leben langweilt (womit sie insgesamt übertreibt), aber ich habe nun einmal die folgende Geschichte – dann Erzählung ihrer Geschichte, angefangen bei ihren Eltern, ihrem Arzt-Freund Alex in Tübingen, der imaginierten Privatpraxis voll fetter Enkel, dann ihr Gesangsstudium, die Einbildung, Sängerin sein zu wollen, Holler, Baldur, und wieder Holler, die Liebe als Folge kopfloser neuronaler Fehlreaktionen, die Trennung von allem, Trennungvon sich selbst, ihre lächerliche Femme-Fatale-Existenz in Bologna, ihre Einsamkeit, nächtelanges Laufen durch die menschenleere Stadt, dann wieder Affären, um die Stille im Kopf zu zerstören, dann Neapel, dann Alfredo, den ich liebe – aber ich bin halt nicht die Anästhesistin, die du aus dem Wasser gefischt hast, ich bin die Exsängerin, die ich immer bleiben werde, wie man immer Exraucher bleibt. Du liebst die falsche Person. Liebst eine, die es gar nicht gibt. Eigentlich bist du Junggeselle.
Aber sie sagt nichts. Sie isst, obwohl sie längst satt ist.
»Was ist?« Alfredos Hand liegt auf ihrem Unterarm. »Ich hab zu viel Salz erwischt, stimmt’s?«
Sie schüttelt den Kopf. »So einfach ist es nicht«, sagt sie, indem sie einen strengen Gesichtsausdruck aufbaut, weil sonst dieses Gesicht zerfließt, also müssen eine Strenge und eine gerunzelte Stirn her.
»Was ist nicht einfach?«
»Das alles. Ich möchte nicht hingehen.«
»Wohin?«
»Zu diesem Konzert.«
Ihre Gabel quietscht über den Teller, ritzt feine Rillen in die Reste von Tomatensoße, einen Kreis, ein paar Schleifen. Noch mehr Schweigen entsteht. Einer muss reden, also redet sie.
»Du kannst nicht im Ernst denken, dass man mit zwei Konzertkarten alles wiedergutmacht. Noch dazu Karten, die du zufällig geschenkt bekommen hast. Nur weil dein Mateotti selber nicht hinkann, gehst du halt mit deiner Frau hin und hast kostenlos deine Eheprobleme
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