Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
Vom Netzwerk:
Irrglaube, das längst überkommene Dogma der Lohnarbeit, sagte er. Dies habe der moderne Kommunismus übrigens mit dem Katholizismus gemeinsam, dass er Arbeit als Übel betrachte, welches es zu überwinden gelte, man denke an die mittelalterlichen Darstellungen des Heiligen Isidor, der im Vordergrund des Bildes bete, also eigentlich nichts tue, während im Hintergrund ein Engel sein Feld pflüge, eine Vision, sagte er, die heute Wirklichkeit werden könne, wenn nur die Erträge anders verteilt würden, genug sei ja da. Dies nämlich sei der eigentliche Fortschritt, dass der Gabelstaplerfahrer nicht mehr Gabelstapler fahre, sondern selbst Gedichte schreibe und trotzdem zu essen habe. Er verstummte. Eine Pause entstand, in der er innehielt und ganz zu vergessen schien, was er noch sagenwollte, und sie nur anblickte mit Augen, die plötzlich weich wurden, als sei alles gesagt, bis sie beide sich abwandten und schweigend zu entgegengesetzten Seiten aus dem Taxi sahen.
    Als der Wagen am Corso Vittorio Emmanuele angehalten hatte, um Betty aussteigen zu lassen, warf Alfredo Sandri, der sich inzwischen auch namentlich vorgestellt hatte, in einem wortreichen und relativ umständlichen Diskurs die Möglichkeit in den Raum, Betty könne auch einfach sitzen bleiben und mit ihm nach Montesanto fahren, wo er wohne, wo er etwas kochen könne, Wein sei schnell besorgt, schließlich wäre heute fast ein Feiertag geworden, der Tag seiner beinahe bestandenen Disputation, ob sie Muscheln möge oder Tintenfisch, sie könne es sich gemütlich machen, während er nur schnell einkaufen gehe. Sie könne inzwischen Kafka lesen oder Petrarca oder Zeitung oder Asterixhefte. Sie müsse aber auch nicht lesen, sie könne auch einfach aus dem Fenster sehen. Er blinzelte mehrfach, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und fügte in plötzlich verändertem Tonfall an, dass er all das vermutlich gar nicht hätte sagen sollen, denn sie, er wisse es ja längst, werde ohnehin ablehnen, und da er, anders als die mittelalterlichen Sänger, keine Ritterrüstung trage, werde er verletzt werden von der Lanze ihrer Ablehnung, aber sie solle ruhig ablehnen, denn natürlich könne er auch allein und verletzt zu Abend essen, aber zu zweit wäre es halt trotzdem schöner, aber es macht nichts.
    Der Taxifahrer schüttelte seit Minuten den Kopf im Rückspiegel. Daran baumelte ein Papst Johannes Paul II. aus Plastik. Und Betty musste schon wieder lächeln, weil dieser Alfredo Sandri, auf einmal unsicher, schüchtern fast, mit seinen Fingern lose Fäden um ein kleines Loch am Oberschenkel seiner Jeans zusammendrehte.
    »Also gut«, sagte sie. »Muscheln wären eigentlich super.« Der Papst baumelte beim abrupten Anfahren, schlug und klackte gegen den Spiegel.
    In Montesanto wohnte er in einer engen Gassenschlucht, deren Pflasterbelag aufgerissen war und sich am Straßenrand türmte, so dass brauner Morast jetzt breiig den Berg hinabströmte und das Taxi wirklich nicht hineinkonnte. Der Fahrer verlangte einen Unwetterpreis, der eine Frechheit war, wogegen aber selbst ein Alfredo mit seinem neapolitanischen Fluchen nichts ausrichten konnte.
    Der Regen war schwächer geworden. Sie liefen steil bergan, stiegen dann Treppenstufen, über glitschiges, teils mit Moos bewachsenes Pflaster. Ganz oben, am Ende der Treppe, wo kein Fahrzeug je hinaufkann, aber rätselhafterweise dennoch Vespas geparkt waren, blieb Alfredo stehen, um ein riesiges Tor aufzuschließen. Der Palazzo ragte steil in den Himmel, erbaut in der Renaissance, seien es ursprünglich vier Etagen gewesen, die nachträglich mit weiteren aufgestockt worden seien, erklärte er. Ganz oben, auf der Terrasse, wohne er. Es gebe einen Fahrstuhl, der aber sei seit Jahren defekt.
    Eine abgetretene Marmortreppe wand sich hinauf um den quadratischen luftigen Innenhof. Vögel flatterten, Essensgeruch und Stimmen wehten, ein neapolitanischer Popschlager aus einem Radio, und immer wieder eröffnete sich durch rundbogige Fenster ein Blick in den Himmel, über die Stadt. Betty staunte, sah zweifelnd die jeweils nächste Treppenwendung vor sich aus dünnem hellem Marmor, jahrhundertealt, und in den beiden oberen Stockwerken schlängelte man sich durch die Pfeiler einer Stahlgerüstkonstruktion, die das alte Mauerwerk abstützen sollte. Schließlich gebe es ja den Vesuv, es gebe die Erdbeben,kochende Erde, erklärte Alfredo, die vulkanischen Phlegräischen Felder.
    Das Appartement, hoch über der Stadt, war winzig, Anfang des 20.

Weitere Kostenlose Bücher