Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
ausschließlich Bier, kontinuierlich, aber ohne betrunken zu werden. Nur selten ging er in Kneipen, stürzte dann ab (Zitat Mutter). Einige Male war es passiert, dass der kleine Tommi Holler seinen Vater aus der Gastwirtschaft hatte abholen müssen, auf Befehl der Mutter, die zum kleinen Tommi Holler gesagt hatte, er solle hinunter zum Sportheim oder zum Kurhessischen Hof, um seinen Vater zu holen, schönen Gruß von der Mutter, wessen es nicht bedurft hätte, da der Vater wohl ohnehin wusste, dass der Tommi nicht von sich aus auf die Idee gekommen sein konnte, seinen seit dem Frühschoppendirekt nach dem Sonntagsgottesdienst abwesenden Erzeuger vom Stammtisch des Sportheims oder des Kurhessischen Hofs wegzuholen. Einige Male hatte der kleine Tommi, wie der große Tom jetzt dachte, seine Mühe gehabt, den schwankenden Vater nach Hause zu bringen, obwohl der Weg nicht weit war, kein Weg war weit in Aschberg, aber der Vater hatte sich immer wieder mitten auf die Hauptstraße gesetzt und mehr gelallt als gesagt, weinend, mit den Händen vor den Augen: »Ich kann nicht mehr. Bist ein guter Junge.«
Im Normalfall aber war er, wie jetzt, nicht betrunken. Er trank, ohne betrunken zu sein. Das Bier schien für Gerhard Holler das zu sein, was das Wasser für die Pflanze war.
Er sprach mit herabhängenden Augenlidern, die ihn so traurig erscheinen ließen, vielleicht früher im Leben einmal sogar verführerisch hatten wirken lassen, wie Tom plötzlich dachte. Der Vater, der, vor der Garage stehend, sagte, dass er etwas zu bereden habe mit dem Sohn, wo dieser schon einmal anwesend sei (leichter Vorwurf ), wartete, bis sich Betty und Marc diskret entfernt hatten, und sprach dann über das Auto, das drinnen geparkt war. Ein Opel-Kombi, viel gefahren, zugegeben, aber noch gut in Schuss, viele Rechenmaschinen seien darin abtransportiert worden, auch Schreibmaschinen. Er erklärte Tom, dass er, bald sechzigjährig, noch ein einziges Geschäftsauto in seinem Leben kaufen werde, und zwar jetzt, denn das könne er steuerlich absetzen und der Opel habe bereits »acht Jahre auf dem Buckel«, wie er sagte, und da sei es ohnehin allerhöchste Zeit, dass er sich einen neuen Wagen kaufe, sagte er, während sich Tom insgeheim fragte, was er in diesem neuen Wagen eigentlich transportieren wolle, wo ohnehin niemand mehr eine Rechenmaschine brauchte. Aber Gerhard Holler schien sich allesüberlegt zu haben, denn dies werde das letzte Auto sein, das er sich über das Geschäft kaufe, ja kaufen müsse, und zwar jetzt, das Nachfolgermodell, »Vier-Türer, G-Kat, elektrische Fensterheber, der hält mich aus«, sagte er. Tom nickte. Der Vater sprach weiter. Worauf er hinauswolle, sagte er, sei, ob er, Thomas, also den alten Opel haben wolle. Ihm würde er ihn günstig überlassen, geschätzter Wert auf der Schwacke-Liste: 8000 DM, er bekommt ihn für drei, sagte der Vater. Er könne ihn auch in Raten abbezahlen, denn, es müsse einmal gesagt werden, er, der Sohn, brauche doch einmal ein Auto, und das hier sei ein zuverlässiges Fahrzeug, für das er ohnehin nicht mehr viel bekäme, und dann soll es lieber der Thomas fahren, der ja irgendwann einmal mit seinem Studium fertig sein muss und ein ordentliches Leben anfängt und dann unbedingt ein Auto braucht. Der Vater führte einige Rechnungen vor: Versicherung, Steuern, Kaufpreis, Ver kaufspreis, Differenz, Ratenzahlung, Abmelde-/ Ummeldegebühr, die man sich eventuell sparen kann, sofern das Auto weiterhin auf den Namen des Vaters zugelassen bleibt.
»Ich will das Auto nicht«, sagte Tom. Die Schultern des Vaters zuckten, als wollten sie eine Fliege auf seinem Nacken verscheuchen.
»Ich brauche kein Auto«, wiederholte Tom, »schon gar nicht eins für 8 000 Mark. Ich werde außerdem kein ordentliches Leben anfangen, schätze ich. Ich bin Musiker.«
Der Vater, der immer noch nicht begriffen hatte, dass es dem Sohn ernst war mit seinem Klavier, nachdem er es vier Jahre lang studiert hatte, dass dieser Sohn nicht urplötzlich einen Beruf aus dem Hut zaubern würde, Einfamilienhaus, Ehefrau, Kind und Auto, dass dieser Sohn wahrscheinlich auch nicht den »Schreibmaschinen-Handel-Holler« im Souterrain übernehmenwürde, der Vater stand da und schwieg. Dann sagte er langsam, dass es schließlich nicht heute entschieden werden müsse, aber er solle es sich überlegen, aber er sei alt genug. Und die Lider hingen noch ein wenig schwerer über seinen Augen.
Drinnen hatte die Mutter das Abendbrot
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