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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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blinzelten, als müssten sie Tränen zurückhalten, aber es ist ja keine Verabschiedung, sondern eine Begrüßung, dachte Tom.
    Er schämte sich, als sie in den kahlen Flur traten, in dem der erwartete Geruch nicht wahrnehmbar, sondern vom Kuchenduft überdeckt war. Er hätte seine Freunde nicht hierherbringen sollen, dachte er und schämte sich gleichzeitig für sich selbst, dass er sich für die eigenen Eltern schämte. Betty und Marc aber lächelten und gaben sich fröhlich.
    Die Mutter ging ihnen ins Wohnzimmer voran. Auf dem Sofa lag mit hinter dem Kopf verschränkten Händen Toms Vater, Gerhard Holler, von dem der Sohn, wie man sagte, seine dunklen Haare hatte, die Mutter nämlich war blond (aber gefärbt), und die Augen, außerdem das eher traurig blickende Wesen, und von dem er sicher auch irgendwann einmal den Bierbauch haben würde, so wie er überhaupt die Neigung zum Molligen von ihm geerbt hatte. Gerhard Holler sah Fußball, war aber wie immer ordentlich angezogen mit Flanellhosen und einem gemusterten Wollpullover. Trotzdem war er das einzig Unaufgeräumte auf diesem Sofa, wo keines der Kissen je benutzt wurde. Für Toms Mutter, nahm Tom an, war es ein notwendiges Übel, dass ihr Ehemann sich ja irgendwo aufhalten musste und also regelmäßig das Sofa zerknautschte, das Bad, die Toilette, die Küche benutzte und natürlich Dreck machte, wenn auch durch jahrzehntelange Erziehung relativ wenig. Sein Bier stellte er brav auf einem Plastikuntersetzer ab, damit der Tisch keine Ränder bekam, und normalerweise saß er ohnehinbis spät in den Abend in seinem Souterrainbüro und sah dort fern.
    Der Vater schien ebenfalls zutiefst erschrocken, als er seinen im Türrahmen stehenden Sohn erblickte. »Wie steht’sn?«, fragte der Sohn, um etwas Unverfängliches zu sagen, außerdem, weil sich diese Frage anbietet, wenn jemand Fußball sieht, obwohl er gar nicht wissen konnte, wer da überhaupt spielte. Er sprach mit der weichen, etwas schludrigen Färbung seiner Heimatregion, bemühte sich aber, den Singsang zu mildern aus Rücksicht auf seine Freunde, die ihn nur Hochdeutsch sprechend kannten, wodurch er sich mitten entzweigerissen fühlte von diesen beiden Sprachen, wie ein Schauspieler, falsch und fremd im eigenen Körper.
    Der Vater richtete sich auf, als wäre er, liegend, bei einer Ungehörigkeit ertappt worden, saß einige Sekunden zuerst auf dem Sofa, Hände neben den Oberkörper gestützt, stand dann auf, räusperte sich, strich seinen Pullover glatt. »0:0, Paraguay–England«, sagte er, mit einigem Abstand seinem Sohn gegenüberstehend.
    Es wurde Kaffee getrunken. Seufzend deckte die Mutter den Tisch im Wohnzimmer, wo normalerweise nicht gegessen wurde, aber da sie so viele Leute waren, war man regelrecht gezwungen, ins Wohnzimmer auszuweichen, in der Küche fehlte der Platz. Tom bekämpfte sein schlechtes Gewissen. Die ganze Autofahrt über hatte er sich vorgenommen, sich nicht schon wieder von einem schlechten Gewissen überwältigen zu lassen. Sie haben ihn in die Welt gesetzt, sagte er sich, es war ihre Entscheidung, er hatte nicht darum gebeten. Das sagte er sich während der gesamten Zeit des Kaffeetrinkens, weshalb er Mühe hatte, dem Gespräch am Tisch zu folgen. Eine schöne Landschaft,hörte er Marc sagen, die Rhön, ja, aber traditionell eine arme Gegend, sagte der Vater, zwar Touristen, jedoch landwirtschaftlich immer eher ein armes Gebiet, schlechter Boden. Im Hintergrund lief der Fernseher und füllte die Pausen mit Stadiontosen. Interessiertes höfliches Hinhören und Kopfwenden von Marc und Betty, worauf sich ein zäher Dialog über den englischen Fußball sowie die Bundesliga anschloss.
    In der unheimlichen Stunde zwischen Kaffee und Abendessen zeigte der Vater das Grundstück. Die Tomaten hätten dieses Jahr wieder die Krankheit gehabt, sagte er. Keine einzige Tomate geerntet. Dafür viele Gurken, aber jetzt sei es vorbei. An die Beete angrenzend stand die Garage. Der Vater sprach. Sein dunkles Gesicht war rasiert. Um die Augen war dieses Gesicht gelblich, die Lider hingen schwer, schienen immer halb geschlossen, das graue Haar aber war noch voll. Er roch nach Bier, trotz des Kaffees. Tom wusste nicht, ab wann jemand Alkoholiker war, der Vater hatte immer Bier getrunken, trotzdem gearbeitet, hatte sich jeden Tag in seinem Souterrainbüro aufgehalten oder war mit seinem Opel-Kombi unterwegs gewesen, um Rechenmaschinen auszuliefern. Trotzdem hatte er immer getrunken, zu Hause

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