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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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er seit einigen Monaten ein Paar bildete, was sich, kaum waren sie von ihrer Tour zurück gewesen, auf irgendeiner Feier aufgrund von Langeweile oder Einsamkeit oder Alkoholkonsum oder auchaus Verlegenheit so ergeben hatte, da sich bei der Tätigkeit des Küssens bekanntlich das Reden erübrigt.
    Er hatte in ihrem Hochbett gelegen (sie besaß ein Hochbett, das er hasste, besonders wenn die Ofenheizung alle Wärme bis unter die Decke drückte), furchtbar geschwitzt und nicht bei der noch schlafenden Nicki bleiben können, weswegen er leise aufgestanden, im ersten frühen Morgengrauen durch die Straßen gelaufen und zufällig am Flohmarkt vorbeigekommen war, wo sie gerade erst die Stände aufbauten. Weißer gefrorener Atem hing in der Luft. Wenige Käufer, die noch vor den Massen hierherstrebten, verloren sich unter dem schwarzen Wintergeäst der Bäume. Und er, obwohl er nichts suchte, entdeckte die Schumann-Ausgabe von 1895, ledergebunden, für 20 DM, die er anstandshalber auf 18 herunterhandelte und dann durch den weißen Februarhimmel nach Hause trug. Seine Hände waren gefroren, als er sich, ohne seine Jacke auszuziehen, im Wohnzimmer an den Flügel setzte und spielte, leise, um Marc und Betty nicht zu wecken.
    Dann aber stand sie in der Tür, im Schlaf-T-Shirt, das Haar zerzaust, die Arme vor der Brust verschränkt, so lehnte sie am Türrahmen mit Kennerblick. Er wusste nicht, wie lange sie schon mit professioneller Miene dastand und offenbar analysierte, wie er mit der rechten Hand die Singstimme imitierte. Ein leicht gespitzter Mund, zueinander gebogene Augenbrauen, Blick über den Flügel hinweg auf die Wohnzimmer-Rillentapete oder aufs Fenster, das wie immer beschlagen war im Winter, als wollte es die Welt nicht hineinlassen in diesen Raum, den sie zu viert bewohnten, Holler, Baldur, Morgenthal, Musik. Die Klavierakkorde fielen ins Zimmer, zwischen sie, Holler sah auf, suchte ihren Blick durch den Zigarettenrauch, undsie fing an zu singen, »ich bin vom Schlaf erstanden«, sang sie leise, nur für sich, aber es war, dachte er im Zug nach Rom sitzend, ein Schock, wie sie sofort einen gemeinsamen Atem fanden, so als wären sie nicht in einem unrenovierten Wohnzimmer, sondern in einem einzigen Körper zu Hause.
    Die Stille nach dem letzen Ton überraschte sie. Sie waren wie nackt in dieser Stille. Er starrte auf die Wand gegenüber, die schlampig übertünchten Rillen der Tapete, als sähe er sie zum ersten Mal, und sah darauf Betty Morgenthal, ihren erhobenen Kopf, die halb geschlossenen Augen. Er dachte: Wir hätten die Tapete doch abziehen sollen, und wunderte sich über diesen Gedanken im Augenblick der Liebe.
    »Wow«, eine Stimme in ihrem Rücken. Sie drehten sich beide gleichzeitig um, als wären sie bei etwas Verbotenem ertappt worden. Aber es ist nicht verboten, »Stille Tränen« von Schumann zu spielen, aber sie haben es getan. Marc hockte im Türrahmen, die Knie angezogen, einen wehmütig lächelnden Blick auf den Fußboden gerichtet. »Schumann mit Kippe im Mund, ts«, hatte Betty gesagt, deren Tonlage etwas nach oben verrutscht war. Sie beugte sich zu Holler am Klavier, zog ihm die längst verloschene selbstgedrehte Zigarette aus dem Mund, steckte sie sich zwischen die Lippen, zündete sie an und rauchte hastig, während er selbst, um mit seinen Händen irgendetwas zu tun, ebenso hastig die alte Schumann-Ausgabe durchblätterte.
    Marc war es gewesen, der ihnen eingeredet hatte, dass es etwas ganz Besonderes sei, wie sie beide gemeinsam Schumann spielten, dass sie unbedingt auch Schubert, er schrie es fast, gemeinsam spielen müssten , und der ihnen noch am selben Vormittag voll Begeisterung aus seinen vielen Notenkartons die gesammeltenSchumannlieder, mehrere Schubertausgaben, Noten über Noten heraussuchte, Gustav Mahler, Wolf, Strauss.
    Holler, im Zug nach Rom, seinem schlafenden Kollegen gegenübersitzend, betrachtet den wie an einem Gummiband hin und her baumelnden, endlich schweigenden Diedrich-Kopf und verwirft seine Liebestheorie. Er kann sich kaum in diesem Schumann-Moment in Betty verliebt haben, schließlich war er noch Monate mit Nicki zusammen, befand sich ja gewissermaßen in seiner ersten Nicki-Verliebtheitsphase, zwar gegen Ende des Stadiums, das eventuell schon ins zweite überleitet, wenn das große Gefühl allmählich ins Gewohnte übergeht und man die Wangengrübchen langsam kennt, außerdem die Beschaffenheit gewisser Hautpartien, wenn man auch die Augenfarbe erschöpfend

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