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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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jetzt das Grau der Landschaft sichtbar, durch die Lücken im Weiß schieben sich die Konturen der Berge, und er sieht, dass er falsch gegangen ist. Er sieht, dass es doch mehrere Möglichkeiten gibt, bergab zu gehen. Wie immer ist das Leben komplizierter, als man denkt, denkt er und fühlt sich bestätigt: Das Leben ist kein Campingplatz. Er versucht, sich zu orientieren, sieht, dass er auf dem Rückeneines Sattels steht, der quer über den Gletscher verläuft und zum Fuß des benachbarten Massivs hin führt, dessen Namen er nicht weiß (es ist der Munt Pers). Er muss die Richtung um etwa 30 Grad korrigieren, er muss sein gesamtes Leben um etwa 30 Grad korrigieren. Der Schneefall wird dünner und reißt schließlich ab. Schon nach kurzer Zeit erreicht er die Gletscherkante, den Fahrweg, der ebenfalls eingeschneit ist, aber weit weniger als der Berg. Landschaft und Himmel sind jetzt eternitgrau. Und wieder stumm. Ein schweigendes Gemäuer. Hin und wieder eine vereinzelte dürre Schneeflocke, die verspätet und sehr leise zu Boden sinkt. Er wünscht sich ein heißes Bad und glaubt aufrichtig, dass ein heißes Bad unter Umständen, jetzt zum Beispiel, besser wäre als die gesamte Liebe. Und Schnitzel mit Pommes. Die Schilder der Schweizer Tourismusindustrie wanken an ihm vorüber, 1992, 1990, 1986, 1900. Die Umkehrung der Geschichte. Und dann taucht die Zugstation Morteratsch vor ihm auf, aus dem grauen Hintergrund löst sie sich plötzlich, kommt ihm viel früher als erwartet entgegen wie beim Zoom in eine Nahaufnahme. Der Parkplatz mit dem Hollerschen Opel, nur leicht überzuckert von Schnee. Aber kein Marc sitzt darin. Aber Marc hat den Autoschlüssel. »Scheiße, verflucht!«, murmelt Tom, »Scheiße Scheiße Scheiße«, und tritt mit der Fußkante an den Vorderreifen.

DIE SIGNORA-BONARDI-WOCHE
    Am Freitag um 12.35 Uhr war beim EEG der Signora Bonardi aus Pozzuoli eine sogenannte Nulllinie festgestellt worden, die laut offizieller Definition den Zustand des irreversiblen Erloschenseinsaller Hirnfunktionen bei einer durch kontrollierte Beatmung noch aufrechterhaltenen Herz-Kreislauf-Funktion, also das landläufig als Tod bezeichnete Lebensende des Komapatienten, markiert. Betty Morgenthal war es, die die Angehörigenfamilie, die gerade beim Mittagstisch saß, telefonisch davon in Kenntnis setzte und die kurz darauf im Ärztezimmer Versammelten über die Möglichkeiten der Organspende aufklärte, indem sie geduldig Fragen beantwortete, zu nichts drängte, aber doch keinerlei Zweifel ließ, dass eine Entscheidung dafür die in moralischer Hinsicht überlegene Position sei.
    »Bei allem sollten Sie darüber nachdenken«, sagte sie und blinzelte, »was in ihrem Sinn gewesen wäre, was ihr Wunsch gewesen wäre.« Sie sprach zu den Angehörigen langsam, als wären diese schwerhörig, und entließ sie zur ungestörten Unterredung in den Flur.
    Die Tochter, nachdem sich auf ein Klingeln hin die Tür des Ärztezimmers geöffnet hatte, die Familie wieder erschienen war, sagte: »Lunge, Galle und Nieren.« Darauf, auf diese Organe, flüsterte sie, habe man sich geeinigt, denn sicher wäre es in ihrem Sinn gewesen, sagte die Tochter, indem sie Bettys Formulierung übernahm. Dann gingen sie, um Abschied zu nehmen, wie es hieß. Betty, die auf ihrem Drehstuhl saß und Formblätter ausfüllte, kämpfte gegen eine Traurigkeit, während auf ihrem Handy zwei Kurzmitteilungen von Carlo eingingen: »Können wir reden?« Zwei Sekunden später: »Ich MUSS mit dir reden.« Die Traurigkeit, die unprofessionell war, aber sich auch nach Jahren noch einstellte, begann als lähmendes Gefühl in den Oberschenkeln und breitete sich aufsteigend aus. Es war eine Angst, ein Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber der Zeit, wenn sie einen Patienten verlor, der sie für eine Woche oder längerbegleitet hatte und dieses Zeitstück bemaß, bald vergessen sein würde, Frau Bonardi, Herr Russo, Herr Pignoli, Januar, Februar, März – leere Kalenderblätter.
    Die Angehörigen standen vereinzelt und offensichtlich ihres Zentrums beraubt im Ärztezimmer, um sich auch von ihr zu verabschieden. Betty bot ihnen Plätze an, obgleich es nun eigentlich nichts mehr zu reden gab. Dies war jetzt ihr Privatvergnügen, dachte sie und blinzelte, und ob sie noch Fragen hätten.
    Nein. Eigentlich nein … Man schüttelte die Köpfe. Aber der Vater, der kaum seine Stimme aus seinem Hals befreien konnte, ließ es sich nicht nehmen, ihr zu danken. Und dass sie gut betreut

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