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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Sonnenlicht. Sie dachte an Alfredo, weil Gedanken flink sind, abprallen wie Kugeln an harten Wänden und unberechenbare Richtungen einschlagen. Als sie das Telefon aus ihrer Hosentasche grub, um ihn endlich anzurufen, klingelte es.
    Ein Lüftchen rauschte elektronisch verstärkt an ihrem Ohr, und vom anderen Ende der Verbindung klang gedämpfter Verkehrslärm, Hupen, Großstadt, während Marianna ihr eine kleine Blechgießkanne reichte. »Ein Geschenk«, sagte sie erklärend, »ein Geschenk für irgendjemanden, wenn man mal ein Geschenk braucht.« Betty, das rauschende Telefon am Ohr, warf die Gießkanne auf den Sitz, drängte sich an der erstaunten Schwiegermutter vorbei auf die Weite des Parkplatzes, wo sie breitbeinig stehen blieb, die Sandris im Rücken. Vor ihr das Netz der weißen Parkmarkierungen. Seine Regelmäßigkeit erschien ihr beruhigend auf einmal.
    »Hallo, Tom«, sagte sie.
    »Hallo, Betty«, sagte er. Rauschen. Das Dröhnen eines Martinshorns. Atmen in der Leitung und das Klacken einer Münze.
    »Bist du in der Telefonzelle?«, fragte sie.
    »Ja, mein Handy«, sagte er und zögerte, »mein Handy ist alle.«
    »Man …«, sagte sie. »Ich verstehe dich schlecht. Der Empfang ist schlecht.«
    »Ja.« Dann schwieg er. Sie hörte Stadt um ihn herum, Glockengeläut jetzt.
    »Wo bist du?«, fragte sie und starrte in den Himmel, der an den Rändern schon vom Abendrot getönt war.
    »Rom«, sagte er. »Ich bin in Rom.«
    »Rom«, wiederholte sie. »Schön.« Sie hörte ihr eigenes Atmen, elektronisch verstärkt.
    »Am Dienstag sind wir in Neapel«, sagte er. Wieder ein Münzklacken.
    »Ja.«
    »Wir spielen um acht im Teatro August, Teatro …«
    »Teatro Augusteo, ich weiß.« Es wurde geschwiegen, und während sie auf diesem riesigen Parkplatz den Kopf in den Nacken legte und sich langsam um die eigene Achse drehte, klein gegen die kahlen Berge, die Schilder, den Himmel, wunderte sie sich, dass sie sogar dieses Schweigen erkannte, wie viel mehr diese Stimme, nach all den Jahren. Etwas tiefer vielleicht, aber zweifellos dieselbe. Der Polo und der an ihn gelehnte Schwiegervater tauchten vor ihr auf. Marianna, die mit kippendem Schritt den Einkaufswagen zurückschob.
    In Rom wurde noch immer geschwiegen.
    »Tja«, sie räusperte sich. Streckte ihren Rücken, wuchs in den Himmel. »Wenn uns nichts einfällt, legen wir wohl wieder auf.«
    »Nein«, sagte er. Glockengetöse. »Du hast dich nicht verändert.«
    »Du auch nicht«, sagte sie. Stellte fest, dass sie lächelte. Ihr Lächeln aber traf auf Marianna, die zurücklächelte und ihren Anorak glatt strich.
    »Also gibt’s noch Karten?«, fragte sie, um auf den Punkt zu kommen.
    »Ich lass dir eine zurücklegen. Aber es ist schrecklich.«
    »Das hab ich mir schon gedacht«, sagte sie. »Am besten am Rand, dann kann ich wieder gehen, wenn ich es nicht aushalte.« Sie hörte, dass auch er lächelte.
    »Du musst wenigstens draußen auf mich warten«, sagte er.
    »Okay«, sagte sie.
    »Ich bin der am Klavier.«
    »Und ich bin sehr alt und werde ein rotes Kleid tragen«, sagte sie und hielt es sofort für einen misslungenen Scherz. Das Glockengeläut in der Leitung. Ein Papiertaschentuch wurde von einer Windböe über den Asphalt getragen, über die weißen Markierungslinien, bis es sich am Stahlfuß eines Abfalleimers verfing. Ein Räuspern, Atmen in ihrem Ohr.
    »Auf welchen Namen?«, fragte er.
    »Was?«
    »Die Karte.«
    »Morgenthal«, sagte sie. »Betty.« Sie wusste nicht, ob er wusste. Wahrscheinlich konnte er es sich denken, aber sicherheitshalber fügte sie hinzu: »Ich muss Schluss machen, meine Schwiegereltern warten, wir sind einkaufen.«
    »Okay«, sagte er, bog die letzte Silbe des Wortes in die Höhe.
    »Also dann«, sprach sie, aber etwas hielt ihr Ohr fest. Eine Schnur durchs Telefon, die sich spannte, zwischen ihr und dieser Stimme, diesem Schweigen.
    »Bis dann also«, sagte er.
    »Bis dann«, sagte sie, »und gib dir bloß Mühe.« Sie riss sich los und legte auf.
    Tom aber, den Hörer in der Hand, sah gedankenleer durch die verkratzte Scheibe der Telefonzelle in die Ewige Stadt. Die Schlucht der vierspurigen Straße, die sich tief zwischen die Steilwände der Palazzi grub. Die Kathedrale gegenüber, hoch undsteil, warf ihr Geläut bis in den Himmel. Und hinter den Kratzern und stumpfen Flecken der Plexiglasscheibe zogen Menschen vorüber, deren Mäntel und Einkaufstaschen an der Tür entlangstrichen. Tom wartete und schaute, bis sich der Abend

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