Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
worden seien, sagte er, und dass ihr keine Frage je zu viel, und danke. Sein Blick verschwand hinter Tränen. Betty reichte ihnen die Hand, begleitete sie nach draußen. Während sich die Schritte der Angehörigen langsam entfernten, blieb sie mit dem Rücken zur Tür stehen und schloss die Augen, drückte Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. Was für ein seltsamer Beruf, dachte sie, in dem das Mitleiden von Berufs wegen untersagt ist, was für seltsame Geschehnisse, Beschäftigungen: der Mensch.
Als sie am späten Nachmittag zwischen Terrakottafiguren, Töpfen und Pflanzen in einem Gartencenter in der Provinz Avellino umherging, war Frau Bonardi schon weit. Betty beobachtete die hinkende Silhouette Mariannas, den hageren Umriss Brunos im tiefen Gegenlicht, die jetzt vor einer aufrecht stehenden Hasenfigur verharrten, dann auf ihre breiten Einkaufswägen gestützt weiterzogen. Hinter dem ausladenden Freigelände des Gartencenters erstreckte sich in Richtung Westen, derAutobahn nach Neapel folgend, ein riesiges Areal mit Einkaufshallen, Möbelcentern, Supermärkten, flankiert von bunten Schildern, auf denen sich das Licht fing.
Die Sandris hatten schon, bemerkte Betty, als sie sich näherten, beide Wagen vollgestapelt, konnten sich aber nicht zwischen zwei beinahe identischen Terrakottakübeln entscheiden. Was sie denn meine, die so abwesend erscheinende Schwiegertochter?, fragte Marianna. Den linken oder den rechten?
»Tja«, sagte Betty und dachte daran, Alfredo anzurufen, der auf das Auto wartete. »Schwierig«, sagte sie. »Sie sehen ziemlich gleich aus.«
»Aber nein!«, empörte sich Marianna, der linke sei ganz anders als der rechte, erstens drei Zentimeter kleiner, außerdem habe er, im Gegensatz zum rechten, um den Sockel einen Fries mit antikisierendem Muster, während der andere, eher schlicht gehalten sei und so fort.
Betty nickte und legte den Kopf schräg. Aus dem Augenwinkel sah sie Bruno, der mit vorgeneigten Schultern dastand und offenbar angestrengt in sich hineinhorchte, als hätte er in sich etwas verloren.
»Tja«, sagte Betty, »ich würde den linken nehmen«, deutete aber auf den rechten. Brunos Kopf wackelte, obwohl sein Körper stillstand.
»Welchen meinst du denn jetzt?«, fragte Marianna voll wirklicher Verzweiflung. Der linke, obgleich weniger schlicht, sei neun Euro billiger, gab sie zu bedenken. Bruno schwieg noch immer. Jedes Wort Mariannas schien in ihm einen blechernen Widerhall auszulösen, von dem jenes Kopfnicken herrühren musste, das Betty an die politisch unkorrekten Krippemohrenfiguren in den Kirchen ihrer Kindheit erinnerte, die um ebenjenerKopfbewegung willen von den Gläubigen mit Spendenmünzen gefüttert wurden.
»Nick doch nicht zu allem!«, rief Marianna.
Bruno sah sie erstaunt an, nickte und schwieg.
Eine halbe Stunde später hatte Marianna sich für den billigeren, antikisierenden Kübel mit Fries entschieden und die gesparten neun Euro in einen heruntergesetzten, aufrecht stehenden Hasen aus Ton investiert, der, wie sie sich vorstellen konnte, auf dem hinteren Gartenmäuerchen, gegenüber vom Küchenfenster, perfekt zur Geltung käme. Bruno hatte auch dazu genickt.
Während sie gemeinsam die Gegenstände in den Polo stapelten, fragte sich Betty, ob die Sandris aufhören würden zu kaufen, wenn Sohn und Schwiegertochter endlich ein Enkelkind herstellten. Oder ob sich ihre Kauftätigkeit in solch einem Fall auf Enkelkinderzubehör umlenken würde. Kinder und Kaufen, dachte sie, während sie den Hasen gegen das Polster der Rückbank drückte, K. und K., sie sind die beliebtesten Waffen gegen den Verfall. Wie oft hatte sie es erlebt, dass einem Sterbenden auf der Krebsstation im letzten Augenblick noch neu gekaufte Dinge ans Bett gebracht worden waren, allerlei Kleidung, elektronische Geräte, Schmuck und das Kleinkind, bevor der Beschenkte kurze Zeit, wenige Tage, ja oft Stunden später verstarb und die nagelneuen Dinge um ihn herum verwaist zurückließ. Der nagelneue DVD-Player, mochte man aber gedacht haben, und das Kind, solange sie da sind, stirbt keiner!
Betty verstaute die kleine Yuccapalme hinter dem Fahrersitz. Sie drückte den Hasen ins Polster, damit er nicht umfiel und zerbrach.Sie wickelte einen alten Schal um den Hasen, stopfte einen Pullover zwischen zwei Pflanzkübel, rückte ein Unkrautvernichtungsmittel zurecht und dachte vage an Kinder. Spielende Kinder mit leeren Gesichtern im Sandkasten der Großeltern. Das Haar weiß im gleißenden
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