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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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dünner, unwirklicher, durchscheinender wurde, ohne aber jemals abzureißen. Bis der Morgen sich darüberlegte.
    Obwohl Tom ihr erklärt hatte, dass in der Nacht wegen starkenSchneefalls nicht mehr geflogen werden konnte, hatte Betty darauf bestanden, nochmals zur Polizeistation nach Samedan hinüberzufahren, von der Tom eben zurückgekehrt war. Da das Auto noch immer auf dem Parkplatz an der Zugstation Morteratsch stand, blieb ihnen nichts übrig, als die Wirtin zu bitten, die ohnehin horchend an der Treppe stand. Sie wischte sich die Hände an den Hüften ab, während sie ihnen voranging, drückte sich eine Locke am Hinterkopf fest, erinnerte daran, dass sie gleich gewarnt habe, das Betreten, um Gottes willen, der Gletscher sei auf eigene Gefahr, das Wetter unsicher, Turnschuhe ohnehin die falsche Ausrüstung – sie unterdrückte ein Aufstoßen, indem sie sich eine Faust vor den Mund hielt –, aber er müsse sich ja wohl erst umziehen (was er nicht tat), er sei durchnässt, sehe furchtbar aus.
    Auf der Polizeistation hatte das Personal gewechselt. Eine junge blonde Polizistin, die bereits durch ihren Kollegen von der Aktenlage unterrichtet worden war, »hielt die Stellung«, wie sie es formulierte mit einem Akzent, der noch kantiger, stockender war als derjenige der Zimmerwirtin. Nein, sagte sie, und halb schloss sie die Augen, unmöglich sei es, bei diesem Wetter zu fliegen, es sei ohnehin aussichtslos, unverantwortlich, sobald das Wetter abflaue, natürlich, aber vorher nicht, erklärte sie. Betty, die mit der Hüfte am Schreibtisch lehnte, wiederholte diese Worte, als verstünde sie deren Sinn nicht, »vorher nicht«, sagte sie zweimal, dreimal, dabei trommelte sie mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte. »Was soll das heißen, vorher nicht?«, schrie sie. Tom hatte sie niemals schreien hören. Sie wandte sich ab, Arme eng um den Oberkörper verschränkt, als wolle sie vermeiden auseinanderzufliegen, lief zum Fenster, stellte sich vor die spiegelnde Scheibe, drehte sich kurz darauf wieder um, wobeidie Bewegung von ihrem Kopf ausging und sich wie eine Welle auf ihren Körper übertrug. Und als wisse sie plötzlich, was zu tun sei, ging sie auf die Polizistin zu, die damit beschäftigt war, auf dem großen Schreibtisch lose Blätter und Akten zu sortieren, stellte sich nah vor sie hin, löste die rechte Hand vom Oberkörper, holte aus und schlug ihr ins Gesicht, dass der Kopf der Beamtin zur Seite flog und eine ihrer Haarsträhnen durch die warme Luft schwebte.
    In einem der Heizungsrohre tönte ein Stakkato von Klopfgeräuschen und verklang. Dann Stille. Es roch nach Lackfarbe. Ein Stapel Zeitungen lagerte neben der Eingangstür. Drei beige gepolsterte Stühle auf dem abgeschabten PVC. Hinter dem Kopf der erstaunten Polizistin, die nun eine Hand an die Wange gelegt hatte, hing ein Tierkalender, die Fotografie eines Schimpansen. Aktenordner in einem hellen Regal und eine Gießkanne, bedeckt mit Grünspan. Aber keine Zimmerpflanzen. Wofür, zum Teufel, mochten sie eine Gießkanne brauchen, dachte Tom, wenn sie keine Pflanzen haben. Keine einzige Pflanze im kahlen Beige des Zimmers, aber eine Gießkanne.
    Ein Laut sprengte die Stille. Ein Schluchzen, Stöhnen. Betty war an der Wand zu Boden gesunken, die Stirn lag in ihren offenen Händen, die Innenflächen nach oben gebreitet wie ein leeres Gefäß.
    Tom wollte zu ihr gehen, die wenigen Meter PVC-Boden überwinden, sie trösten, ihren schluchzenden Körper in den Arm nehmen, ihr sagen, dass alles nicht wahr sei, aber er konnte sich nicht bewegen. Als er später doch neben Betty kniete, wusste er nicht, wie er dorthingekommen war, es war, als wäre etwas, dieser Weg über den PVC-Boden, aus seinem Leben geschnitten worden. Er beugte sich zu ihr, steckte seinen Arm zwischenihren Rücken und die Wand, drückte die Finger auf Höhe der Schulter in ihren Wollpullover, bog ihren Kopf an seinen Hals, aber als er ihn losließ, schnellte er zurück. Mit beiden Händen wischte sie sich über das Gesicht, wie um außer den Tränen noch etwas anderes, dieses Gesicht, fortzuwischen. Sie stand auf und verließ ohne ein Wort die Amtsstube.
    »Wo willst du hin?«
    Der Wagen der Zimmerwirtin sprühte sein Scheinwerferlicht in die Nacht. Aber Betty stieg nicht ein, sondern stapfte am vorderen Kotflügel vorbei, wobei sie ihre Hand über den Lack schleifen ließ wie einen Gegenstand, der nicht zu ihr gehörte.
    »Betty!«
    Offensichtlich hatte sie keinen Plan, entfernte sich

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