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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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aber von den wirbelnden Scheinwerferkegeln, lief immer weiter ins Dunkel. Ihr roter Pullover leuchtete hinter dem Schneeschleier kurz auf. Sie torkelte wie betrunken.
    »Wo willst du hin?«, er fasste sie bei der Schulter.
    »Ihn suchen! Lass mich.«
    Wahrscheinlich war es das, dachte er später immer wieder, was sie an ihm hasste: Seine Vernunft, die sie davon abhielt, in die Nacht von Samedan hinauszugehen, sich zu verirren, umzukommen, sein vernünftiges, erbsenzählerisches, alltägliches, beamtisches Handeln in dieser Situation, sich nicht den Kopf an der Betonwand der Polizeistation einzuschlagen, sich nicht die Haare auszureißen und in den Schnee zu rennen.
    Sie hielt seinen Jackenkragen fest, zog ihn zu sich, stieß ihn dann zurück, beides gleichzeitig, er sah ihre Zähne hinter den aufgerissenen Lippen, ihren Kopf, der über ihren Hals nach hinten kippte, dann groß wurde und nach vorn an seine Stirn schlug. Ihr Atem keuchte dichte Wolken in die Nacht, war vomSchnee kaum zu unterscheiden. Und er hielt sie fest, obgleich er kein Recht dazu hatte, drückte ihre Arme an ihren Oberkörper, streichelte ihren Kopf, presste ihn an seinen Hals, und allmählich veränderte sich ihre Kraft, formte sich um in eine Umarmung, ein verzweifeltes Klammern, sie schnaubte an seinem Hals, feuchte Wärme kroch auf sein Schlüsselbein, Rotz, Tränen und Spucke, und sie hielten sich, bis allmählich die Kraft in ihr schwand, ihr Körper leblos wurde wie etwas, das sich nur aus Versehen in seinen Armen befand.
    Als der Wagen durch den Schnee zurückschlich, nahm Tom auf der Rückbank Bettys Hand. Sie ließ sie ihm, aber zufällig, so schien es, weil sie gar nicht bemerkte, wo sie lag.
    Der Morgen drängte sich ohne Vorankündigung ins Zimmer. Im Flur unten klingelte ein Telefon. Die schlurfenden Schritte der Hauswirtin.
    Betty durchquerte das Zimmer, ohne Tom anzusehen, so als ginge das alles nur sie etwas an, während ihre Hände den Pullover tief über die Hüften hinabzogen. Vielleicht hatte sie auch einfach vergessen, dass er mit ihr in diesem Zimmer saß, wie sie es womöglich die ganze Nacht über vergessen hatte. Das Erstaunen, das in ihrem Blick lag, als er die Treppe hinunterstieg, in Richtung Diele, wo Betty und die Zimmerwirtin vor dem Telefon standen, als erwarteten sie von ihm noch irgendeinen Zusatz, eine Berichtigung, schien sich mehr auf seine, Toms, Anwesenheit zu beziehen als auf die Nachricht, dass man Marc gefunden habe.

MORGEN (NUN WILL DIE SONN’ SO HELL ...)
    Warum sie in Krankenhäusern immer Aquarien hatten, fragte er sich. Warum diese Krankenhausaquarien immer gegenüber von gepolsterten Besuchersesseln aufgestellt sein mussten. Warum die Krankenhausaquarienfische identisch waren mit allen anderen Fischen auf der Welt, obwohl sie tagaus, tagein von den verweinten Augen Hinterbliebener oder Sterbenskranker angestarrt wurden. Warum sie trotzdem schimmerten und farbenprächtige wendige Streifen durchs grünstumme Wasser zogen, wie es nur je Aquarienfische vermochten.
    Warum sie ihn ins Krankenhaus gebracht hatten. Warum sie ihn hier besuchten. Warum sie ihn überhaupt besuchten.
    Er antwortete sich: Wenn er in einem Krankenhaus ist, antwortete er sich, dann kann es so schlimm eigentlich nicht sein. Wenn man ihn besuchen kann. Wenn er hier auf ihren Besuch wartet. Wenn sie Besucher sind wie all die anderen hier, die durch die Flure gleiten, mit ihren zellophanverhüllten Blumensträußen, den eingewickelten Saftflaschen, Kleiderkoffern, antwortete er sich, dann ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
    Aber sie hatten nichts mitgebracht.
    Ein orangegestreifter Fisch schwebte nah an die Glasscheibe heran, blieb sekundenlang bewegungslos stehen und betrachtete ihn nachdenklich. Dann kamen sie. Ein Polizeibeamter und ein Arzt. Es war ein kleines Krankenhaus, aber Tom hatte das Gefühl, nie mehr jemals den Weg zurückzufinden durch diese lackierten Gänge, Klapptüren, Aufzüge, Treppen, Kellerflure, durchzuckt von Neonlicht. Verhüllte Betten, die an ihnen vorbeigeschoben wurden, Betten, die aus Aufzügen ragten mit baumelnden Pappschildern.
    Sie näherten sich einer Wölbung unter einem grünen Laken. Das Laken wurde zurückgeschlagen, Tom wusste nicht, von wem, vielleicht hob es sich von selbst, legte einen Körper frei, ein metallener Laut fuhr in die Stille, irgendein Besteck, das auf Blech traf. Tom spürte den Impuls, sich die Ohren zuzuhalten, vorwurfsvoll fixierte er den Polizeibeamten, als wäre

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