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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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reichte. Diedrichs Erdnüsseknacken erinnerte wiederum an die geschäftige Tätigkeit eines Eichhörnchens, wodurch sich der Saxofon und Posaune spielende Kollege in seiner Vorstellung zu einem Mischfabelwesen aus Maikäfer und Eichhörnchen, das er in Gedanken Maichhörnchen oder Aichkäfer nannte, zu verwandeln begann. Er musste lachen. Ein Lachanfall, ein Kitzeln, das sich in seinem Hals ausbreitete und in einem Hustenanfall endete.
    »Du solltest weniger rauchen«, sagte Diedrich.
    »Stimmt«, sagte Tom. Der Zug hielt in einem kleinen Bahnhof.
    »Ach Didi«, sagte Tom, als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, »warum sind wir nur so unglücklich?«
    »Ich bin nicht unglücklich!«, sagte Didi.
    »Doch«, sagte Tom, »du bist auch unglücklich! Im Grunde sind wir alle unglücklich.«
    In der Fensterscheibe sah er, wie Diedrich den Kopf schüttelte. So wie er eigentlich immer über ihn den Kopf schüttelte. Nur nicht, als er Hedda geheiratet beziehungsweise Hedda ihn geheiratet hatte, drei Monate nach ihrer ersten Begegnung im grünen schattigen Park. Da war Diedrich zufrieden gewesenund hatte nicht den Kopf geschüttelt. Heddas Eltern dagegen waren entsetzt gewesen. Sie hatten ihn nämlich sofort auf den ersten Blick als das erkannt, was er war, ein dickes, gefräßiges Pony, das ihrer Tochter bald zu klein werden würde. Ein Jazzmusiker, noch dazu ein erfolgloser! Nie würde er die Blicke vergessen, mit denen sie ihn bedacht hatten, während sie um den riesigen hellen Esstisch herumsaßen in der riesigen hellen Diplomatenwohnung, von deren Wänden Ahnenfotografien herabschauten und über ihn die Köpfe schüttelten, was ihm, auch wenn er in sein Kaffeegeschirr sah, nicht entging, ihm ebensowenig entging wie die entsetzten Blicke der Gronings. Über die gesamte Zeit des Kaffeetrinkens hatte er sich das Zusammentreffen seiner Eltern mit ihren Eltern vorgestellt. Während sie am Kaffeetisch saßen und über Jazzmusik und die Situation der Kulturförderung in der deutschen Hauptstadt sprachen, hatte er sich vergegenwärtigt, dass es sich nicht vermeiden lassen würde, dass seine Eltern ihre Eltern kennenlernen würden und umgekehrt und alle vier an einem Hochzeitstischende beisammensitzen und über die Situation der Kulturförderung in der Hauptstadt sprechen würden. Und genau das löste in ihm eine innige Belustigung aus. Als dann Ansgar Groning, der große, schlanke, schöne, bärtige Mann, Kinderfotografien seiner Tochter zeigte, lachte Tom weniger über die kleine Hedda auf Dreirädern, mit Pony!, ohne Schneidezähne als vielmehr über die Vorstellung jenes unvermeidbaren Elternzusammentreffens.
    Worüber er so gelacht habe, wollte Hedda später wissen. Und Tom sagte es ihr. »Sie werden sich mögen«, behauptete Hedda. Aber Hedda behauptete ja auch, dass ihre Eltern ihn mochten. Wirklich mochten. Und vielleicht stimmte es sogar, vielleicht mochten sie ihn, aber entsetzt waren sie trotzdem, was er ihnennicht verdenken konnte. Nicht alle, die man mag, würde man der eigenen Tochter als Ehemann empfehlen können, und vielleicht mag man sogar das Pony, muss es aber der Tochter, die Olympiasiegerin im Dressurreiten werden will, aus Vernunftgründen ausreden.
    Die Hochzeit kam, und die Eltern mochten sich nicht .
    Toms Mutter, die die Fähigkeit und die Angewohnheit besaß, negative Entwicklungen in der Zukunft vorauszusehen, hatte den ganzen Tag über ein bekümmertes Gesicht. Toms Vater war schon am Nachmittag betrunken und tanzte später übertrieben mit allen. Noch später schlief er auf seinem Stuhl ein. Hedda aber fand, alle hätten sich blendend verstanden. Sie verstand sich sogar mit Toms Mutter und umarmte sie immerzu. Trotzdem hatte Tom während der ganzen Veranstaltung den Eindruck, er gehöre hier nicht hin, er sei der Musiker, der sich unerlaubt unter die Gäste gemischt habe, und ihnen fresse er das Essen und saufe er den Wein weg. Spät am Abend aber spielte er für Hedda. Er spielte ihr auf dem Klavier den Liebestraum, dann spielte er ihr von John Lennon »Woman« und sang sogar dazu einen eigens umgedichteten Text, und alle weinten. Hedda weinte und weinte und lachte, und als sie ihn am Klavier lange küsste, schmeckte er ihre Tränen. Er liebte sie und nahm sich vor, fortan nur ihre Freudentränen zu schmecken. Alles wollte er dafür tun, dass sie nur mehr aus Freude würde weinen müssen.
    Hedda zeigte ihm alles, denn er kannte ja nichts. Sie zeigte ihm Europa, denn er war fast noch nirgends

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