Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
bewundert und dem er sich rückhaltlos anvertraut hatte, alles das hatte ihn später aufgeregt, ohne dass er es sich aber hätte anmerken lassen.
Passiv. Dieses Wort war oft gefallen in den letzten Monaten ihrer Ehe. Immer bist du so passiv. Nie tust du etwas. Sag doch auch mal was.
Allerdings war er schon immer das gewesen, was sie passiv nannte. Aber früher hatte sie es gemocht, so wie er ihre Aktivität gemocht hatte. Denn seine Passivität hatte sie für Nachdenklichkeitgehalten. Sein Schweigen für Tiefe. Seinen Zynismus für Ironie. Seine bösen Bemerkungen für Witze, über die sie gelacht hatte. Seine negative Weltanschauung für Philosophie, über die sie gestritten hatten. Seine Kompositionen für Musik. Sein Klavierspiel für Klavierspiel. Seine Liebe für Liebe.
Und vielleicht war es das alles auch gewesen.
Ist man nicht der, fragte sich Holler, den der andere in einem sieht?
Sein Blick ging aus dem Zugabteil hinaus ins Land. Staubiges Land. Staubiges Licht über den Uferstraßen, dem Meer, den Neubauten, von Palmen umstanden, und den Autos. Eine Herde Büffel mit geschwungenen Hörnern. Der Vorhang am Fenster vibrierte. Der Deckel des Aschenbechers klapperte. In der Scheibe spiegelte sich Diedrich, durch dessen Gesicht die Büffelherde zog, ein Palmenhain, eine sich hebende, sich senkende Stromkabellinie. Wenn das Meer hinter der Uferbebauung plötzlich auftauchte, ein Blitzen.
Diedrich hatte ihm Hedda Groning vorgestellt. Er hatte sie ihm vorgestellt, bevor er sie sich selbst fortan vorgestellt hatte, als seine Retterin, als seine Lebensfrau, seine Lebenslösung. Ein riesiger Garten, ein Park, in dessen Mitte auf einer kleinen Anhöhe ein Gutshaus lag, sandfarbenes Gemäuer mit hohen lichtgefüllten Fenstern und einer Freitreppe, über die ein weißes Heer von Kellnerinnen und Kellnern mit bis zum Boden reichenden Schürzen hinab in den Park gestrebt war, um die letzten Anweisungen entgegenzunehmen. Sie aber spielten auf einer Bühne, direkt beim See. Sie spielten Hintergrundmusik, wie es im Vertrag vereinbart worden war. Sie hatten gut angezogen zu sein und nicht aufzufallen. Eine Musik hatte man sich für die Veranstaltung, die irgendetwas mit Kultur und Politikzu tun hatte, gewünscht, eine Musik, die nicht auffällt und trotzdem da ist.
Hedda Groning, die im engen Kleid durch das schattige Grün auf sie zugeschritten war, hatte die Musik aber bemerkt. Schon von der Bühne aus hatte Holler gesehen, wie sie als eine der wenigen mit einem langen Glas in der Hand an einem Baum lehnte und zu ihnen heraufsah. Als Diedrich sie ihm vorstellte, sah er nur ein weißes Lächeln und zwei dunkle Augen, ein allgemeines Bild von einem Gesicht, und erst später am Abend, als er mit einem Glas Whiskey abseits stand und sie zum zweiten Mal in seine Richtung schreiten sah, konkretisierte sich ihre Erscheinung, die offenbar zielgerichtet neben ihm stehen blieb. Er trank seinen Whiskey aus und schwieg, während sie an seiner Seite über die Stehtische hinweg durch den Park in die Ferne sah, denn er vermochte sich nicht vorzustellen, was sie von ihm wollen könnte, außer vielleicht Klavierunterricht.
»Willst du Klavierunterricht?«, fragte er sie, als sie schon lange geschwiegen hatten. Sie lachte. Er zündete sich eine Zigarette an. Sie sagte, sie habe noch nicht darüber nachgedacht. Dann sagte sie: »Ich hätte es lieber, wenn du für mich spielst.« Sie lächelte, ihre Zähne waren hell vor dem dunklen Grün des Gartens, dann drehte sie sich um und ging davon, winkte mit zwei Fingern einmal kurz durch die Luft, den schwingenden Rücken ihm zugewandt, in der sicheren Gewissheit seines Blicks.
Was er da noch nicht wusste, war, dass in jenem Moment bereits alles entschieden war, denn Hedda Groning hatte immer alles bekommen, was sie sich wünschte. Und ihn, Tom Holler, den sie nie Tom, sondern Thomas nannte mit ihrem etwas trockenen Akzent, hatte sie sich gewünscht. Sie hatte sich ihn inden Kopf gesetzt, wie ein verwöhntes Mädchen sich ein Pony in den Kopf setzt und dieses bekommt und dann bald lästig findet, das dachte er.
Er sah zum Fenster auf den sich spiegelnden Diedrich, der ihn plötzlich an einen Maikäfer erinnerte. Er sah ihn plötzlich mit drahtartigen Fühlern im Zug sitzen, mit einem Chininpanzer um den Bauch und mit auf dem Rücken gefalteten Flügeln. Auf den zusammengedrückten Knien lag eine Papiertüte mit Erdnüssen, die er knackte und sich dann flink in den Mund schob oder Tom
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