Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
von ihnen erwartet wurde. Niemand tanzte. Erst spät begaben sich die Stelzenläufer,angewiesen von der verzweifelt gutgelaunten Künstleragenturinhaberin Frau Angela (gesprochen Änschela) Kooper, vor die Bühnenkante und wedelten und hopsten dort auf und ab, um das Publikum zu animieren, wie es hieß, um gute Stimmung zu verbreiten, wie in den Setpausen immer wieder beschwörend von Frau Änschela Kooper gesagt wurde. Aber niemand tanzte zu ihrer Musik.
Als Tom vor dem letzten Set zum Toilettenwagen lief, sah er von weit her den Nacken einer Frau, die ihn schwach an Anne Hermanns erinnerte. Ihren hohen Hals unter der aufgetürmten Frisur, Perlenkette, deren Glanz eben im Schatten der Nacht verlosch.
Er blieb stehen und starrte der Erscheinung hinterher, hatte aber keine Lust, sie zu verfolgen. Er stand und blickte ungläubig in die glanzvolle Dunkelheit, Menschen strömten durch die Nacht an ihm vorbei und verschwanden, tauchten mit der Helligkeit ihrer Gesichter auf wie flüchtige Lichter und verglommen. Auch sie, das lag auf der Hand, würden bald sterben. All die Lebendigen, die durch die Festzelte kreuzten und mit den rauschenden Abendkleidern und Cocktailgläsern die Farbe der Nacht in kurzem Rhythmus erhellten, dachte er auf einmal, sind unwichtig geworden. Der Mensch ist unwichtig geworden, dachte er und blickte zu einem sichelmondförmigen Lampion hinauf, das Leben gewinnt nicht etwa an Wert mit dem Wissen um dessen Vergänglichkeit, im Gegenteil, es verliert ihn. Hierüber erschrak er kurz, bevor er sich auch daran gewöhnte und längere Zeit einen Falter beobachtete, der im schwankenden Lichtstrahl der Laterne auf und ab taumelte.Bereits einige Wochen später aber hatte Diedrich die Idee des sogenannten »Worldjazz«. Um sich am Markt zu positionieren, sagte er, sei es unabdingbar, sich abzusetzen, etwas Eigenes anzubieten, etwas, das sie als Band von der Konkurrenz abhöbe. Der Veranstalter, so Diedrich, dürfe gar nicht »die Wahl « haben, sondern er müsse sich regelrecht » gezwungen « fühlen, »sie und nur sie« zu engagieren. Alles andere, Tom habe recht, sei Kackscheiße. Also »Worldjazz«. Aus dem Wörterbuch suchten sie sich eine italienisch klingende Bezeichnung heraus, nahmen französische Musette und argentinischen Tango und drehten alles durch den Jazzmixer, formten daraus etwas, das sich vom Markt absetzte, Maggijazz für Akademiker, ein Zielpublikum, das es sich auch » leisten konnte«, so Didi, ihre CDs zu kaufen. Von da an begann ihr Aufstieg.
In jener ersten Nacht beim Sommerfest des örtlichen Energieanbieters aber hatte Tom zwei wichtige Dinge begriffen: Erstens, dass man auch besoffen Klavier spielen kann. Zweitens, dass man überhaupt Klavier spielen kann und es doch nicht tut. Fortan spielte er zu spielen. Er spielte zu leben, ja sogar wieder froh zu sein mitunter, bis er es selber glaubte.
DAS PONY ODER:
GESCHICHTE DER LIEBE, TEIL 2
Ist es nicht so: Gerade dasjenige, das wir am anderen lieben, genau das Eigenartige, aufgrund dessen wir uns in unser Gegenüber verlieben, wird später dasjenige sein, das uns an ihm stört?
Tom Holler glaubte jedenfalls zu wissen, dass seine Traurigkeit, die, weil fremd und geheimnisvoll, Hedda einst so angezogenhatte, zugleich dasjenige war, was sie später abgestoßen hatte, und egal, was als Inhalt eines Ehestreits benutzt worden war, seine Unordnung, sein schlampiges Aussehen, seine Essmanieren, sein Zynismus oder sein Körpergeruch, der manchmal nicht gut war, der dicke, immer noch dicker werdende Bauch, seine Angewohnheit, vom Tisch aufzustehen, ohne ein Geschirr, einen Teller oder irgendetwas anderes mit zurück in die Küche zu nehmen, nicht aus Faulheit, sondern aus Vergesslichkeit (Ignoranz, wie Hedda es formulierte), all diese von Hedda sogenannten Streitpunkte waren seiner Meinung nach nichts als verschiedene Erscheinungsformen des einen Urgrunds ihrer Unzufriedenheit mit ihm, der paradoxerweise genau der Grund gewesen war, sich in ihn zu verlieben: seine Traurigkeit.
Umgekehrt war es genauso: Heddas Eleganz, ihre aufrechte Schönheit, ihre geradeaus wie ein amerikanischer Highway in eine helle Zukunft sich ausstreckende Zielstrebigkeit, ihre Tatkraft, ihr frühes Aufstehen am Morgen, die Eigenheit, immer sofort zu wissen, was zu tun war, im Zug beispielsweise immer eine Sekunde vor ihm den reservierten Platz zu finden, auf dem Stadtplan den richtigen Ort, im Möbelladen das richtige Möbelstück, all das, was er früher
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