Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
gewesen. Frankreich. Italien. Monticchio. Und er folgte ihr überallhin. Er lieferte sich ihr aus. Er war ihr Pony. Er hatte ihr alles zu verdanken, nichts Geringeres als sein Überleben. Auch dass er wiederMusik machte, verdankte er ihr. Sie wollte, dass er ihr vorspiele, und weil er den Eindruck hatte, es mache sie glücklich, wenn er ihr vorspielte, und weil es wiederum ihn glücklich machte, wenn er den Eindruck hatte, sie sei glücklich, sie, die womöglich im Gegenteil meinte, das Klavierspielen mache ihn glücklich, weswegen sie ihn vielleicht insgeheim eigentlich nur darum gebeten hatte, aufgrund also dieses vermeintlichen Glücksreigens, dieses Glücksteufelskreises, spielte er ihr vor. Meist improvisierte er für sie. So begann er, Stücke zu schreiben. Jedes verwarf er, sobald es fertig war. Trotzdem studierten sie die Kompositionen mit dem Quartett ein, das sie, weil sich Mediterranes besser verkaufte, mare-Quartett genannt hatten und das neuerdings von einem Bekannten Heddas, einem ehemaligen Musikredakteur vom Deutschlandradio namens Jens-Christian Hepp und dessen Konzertdirektion »J.-C. Hepp« vertreten und bekannt gemacht wurde. Das mare-Quartett und sein Worldjazz »im Grenzgebiet zwischen Swing, Tango und experimentellem Jazz« entwickelten sich in Liebhaberkreisen zum Geheimtipp und bald auch zu einem bescheidenen Verkaufserfolg, der für Jazz, hieß es, beachtlich sei. Sie bekamen Preise, sie gingen auf Tour, sie produzierten im Lauf der Jahre fünf CDs, die Tom, sobald sie fertig waren, verwarf und nicht mehr hören konnte.
Sie hatten Geld. Sie hatten schöne Möbel. Sie hatten sich. Und zum ersten Mal im Leben hatte Tom Holler ein Auto, einen Audi A4/Kombi, mit dem er seinen Vater richtig beeindruckte. Sie waren glücklich. Aber schon da, als sie glücklich waren, fragte sich Tom, was es war, das Glücklichsein, ob er ihm trauen dürfe. Und gerade in den Augenblicken des größten Glücks, mit Hedda am Flughafen in Rom, als das Gepäck nicht kommt, mit ihr bei einem Picknick, als es anfängt zu tröpfeln,bevor sie im strömenden Sommerregen miteinander schlafen, in der neuen Wohnung, wo sie die Tapeten von den Wänden kratzen, dann Pause machen, ein Bier trinken und eine Zigarette rauchen, und am frühen Morgen, als er aufwacht und Heddas Blick sieht auf seinem Gesicht, gerade in jenen vollkommensten Glücksmomenten traute er diesem Glück nicht, weil er sich nicht vorstellen konnte, wirklich glücklich zu sein. Weil er nicht glauben konnte, dass dies ein richtiges Glück sei. Und weil in das Glück die Erinnerung einbrach.
Das Ende hatte vielleicht früher angefangen, als ihm bewusst gewesen war. Vielleicht bereits ganz am Anfang, im Anfang des Anfangs, als Hedda scherzend über Kinder gesprochen hatte. Und er, ebenfalls scherzend, ein Horrorszenario von sich als einem Vater an die Wand gemalt hatte. Und als sie später ernsthaft über Kinder sprach, er aber noch immer darüber scherzte, war es vielleicht schon zu spät. Er hatte es ihr, da waren sie noch kein Paar, schon bei ihrer zweiten Begegnung in einem Café am Prenzlauer Berg gesagt: Er wolle kein Kind. Er wolle erst dann ein Kind, wenn er das Kind selber vorher fragen könne, ob es geboren werden wolle. Sonst nicht. Sie hatte gelacht.
Als es ihm eines Tages auffiel, dass sie ihn nicht mehr bat, etwas auf dem Klavier zu spielen, da bat sie ihn schon lange nicht mehr darum. Und eines Tages störte es sie sogar, wenn er Klavier spielte. Und es störte sie, wie er sein Hemd über die Hose hängen ließ. Und er hatte den Eindruck, sie sei glücklicher, wenn er zu einer Konzertreise aufbrach, als wenn er zurückkam. War er zu Hause, dann störte sie vieles. Sein Klavierspiel, sein über die Hose hängendes Hemd, seine späte Aufsteherei. Wenn er aber auf Reisen war, dann störte sie all das nicht. Dann vermisste sie ihn am Telefon, liebte sie ihn durchs Telefon, redetensie viele Stunden, er angezogen im Hotelbett liegend, rauchend, was sie nicht störte. War er zu Hause, dann störte sie aber schon nach wenigen Tagen nicht nur sein Rauchen, sondern mehr oder weniger alles an ihm. Und er konnte es ja verstehen, denn auch ihn störte mehr oder weniger alles an sich selbst. Und er wusste, dass Heddas Liebesscheinwerfer nicht ewig brennen konnte, dass die vorteilhafte milde Beleuchtung einer Helligkeit weichen würde, die ihn zeigen würde als das, was er wirklich war. Seine vermeintliche Tiefe: Trägheit. Sein vermeintlicher Witz: Zynismus.
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