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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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fuhren sie nach Neapel.

NAUFRAGIO – SCHIFFBRUCH
    Morgens um sieben Uhr fünfunddreißig kreuzte Betty Morgenthal mit riesiger Sonnenbrille, in der sich die vom Verkehr zerwühlte, zerrissene Stadt, die hohen Gassen, vespaumbrausten Plätze, breiten Boulevards und Passanten mit Sonnenbrillen spiegelten, die Via Toledo, den Blick geradeaus gerichtet, ungeachtet des heranbrandenden Autoverkehrs, der unmittelbar vor ihren Füßen anhielt, weil sie es nicht tat, und strebte, den Strom der Autos teilend, ans andere Ufer aus Mauern und Stein. Sie ging geradewegs auf die Plakate zu, die in breitformatigem DIN-A0-Vierfarbdruck das mare-Quartett zeigten, das am Abend im Teatro Augusteo mit seinem aktuellen Programm »Naufragio« gastierte.
    Heute Abend, dachte sie und sah im Vorbeigehen, wie die vier Musiker auf dem etwas grünstichigen Foto bis zur Brust im Wasser standen, angezogen mit Anzügen, sogar mit Fliegen um den Hals. Um sie herum verteilten sich, auf der Wasseroberfläche treibend, Notenblätter und Instrumente. Da blieb sie stehen. Naufragio. Schiffbruch. Tom Holler, vor dem ein kleines Casio-Keyboard trieb, reichte das Wasser fast bis an die Schultern, er war der kleinste von allen. Er war zweifellos er.
    Das Poliklinikum empfing sie freundlich mit seinen Gängen und Sälen und Türen, die sich fest hinter ihr verschlossen, was sie beruhigte. Selbst Carlo, der in einem der Flure offenbar auf sie gewartet hatte, erschien ihr beruhigend. Er hielt sie an den Handgelenken fest und zog sie durch eine offen stehende Tür in die weiße Leere eines frisch getünchten Zimmers. »Hör zu«, sagte sie zu ihm. »Hör du zu«, sagte er zu ihr. Sie schüttelte den Kopf. »Also?«, sagte sie. Aber er sagte nichts. Also sprach BettyMorgenthal. Mit vor der Brust verschränkten Armen ging sie im quadratischen Zimmer, im weißen stechenden Lackgeruch hin und her und sprach zu ihm wie zu einem Angehörigen, dessen Angehörige paradoxerweise sie selber war. Es führe zu nichts, sagte sie. Sie möge ihn, aber nicht mehr und nicht weniger. Sie sei verheiratet, wie er wisse, sagte sie, außerdem viel, viel zu alt für ihn. Sie passten nicht zusammen. Es sei ein Fehler gewesen, sich mit ihm zu treffen und alles. Sie blieb in der Mitte des Zimmers stehen und sah ihn, der flach an die Wand gepresst war, aus der Mitte heraus an. Es tue ihr leid. »Es ist frisch gestrichen, Vorsicht«, sagte sie. Sie verließ das Zimmer, warf ihm nur noch einen winzigen Seitenblick zu, der von der Größe und Dunkelheit seiner Augen abgelenkt wurde.
    Du bist widerlich, dachte sie im Hinausgehen. Und während sie sich umkleidete und auch im Operationssaal, wo Carlo Vitelli glücklicherweise an diesem Tag keinen Dienst tat, da dachte sie immer wieder, du, Betty Morgenthal, bist echt widerlich.
    Wenn man einander verstehen könnte, dachte sie, als sie sich im Assistentenzimmer die Hände wusch, die längst sauber waren, und in den Spiegel sah. Wenn ein Mensch einmal einen anderen wirklich verstehen könnte. Wenn man sich mitteilen könnte, einem andern. Und der einen verstünde. Aber du, sagte sie sich, verstehst ja nicht einmal dich selber.
    Irgendwann am langen Nachmittag, als sie eine Schwangere für einen Kaiserschnitt intubiert hatte und die Lage des Schlauchs auf dem Monitor überprüfte, fragte sie sich, ob sie Tom je verstanden hatte oder Marc. Ob sie überhaupt irgendeinen Menschen je verstanden hatte, oder ob sie von irgendjemandem je verstanden worden war. Sie kam zum Ergebnis: Nein. Das Neugeborene schrie. Alles Reden, dachte sie, während sie sich imVorzimmer die Hände wusch, die längst sauber waren, und in den Spiegel sah, ist nie etwas anderes gewesen als ein Übertönen des Nichtverstehens. Das Neugeborene schrie.
    Die weiße große Uhr an der Wand zeigte mit ihrem Zeiger auf eine Zahl. Drei Stunden bis acht. Eine Strecke von drei Stunden trennte sie von Tom Holler. Eine Strecke, auf der sie noch abbiegen könnte, irgendwohin. Sie blieb im Vorzimmer vor dem Spiegel stehen, Hände auf das Waschbecken gestützt. Das Neugeborene schrie noch immer nebenan. Sie betrachtete die weißen Kacheln. Die bunten Aufkleber, die irgendjemand irgendwann daraufgeklebt hatte. Sie wunderte sich darüber, dass die Blumenaufkleber ihr noch nie als solche aufgefallen waren. Obwohl sie sich jeden Tag mehrere Male an diesem Waschbecken die Hände wusch, hätte sie bis heute nicht sagen können, ob und welche Aufkleber auf den Kacheln klebten.
    Als die Tür aufging,

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