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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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doch muss es da sein. Ganz nah. Aber es gibt keinen Übergang, es gibt kein Zwischen. Hier das Leben, dort der Tod, beides getrennt durch eine Leere, weiter als die Distanz desErdmittelpunktes bis zum äußersten Planeten des Universums. Es hängt keine Brücke. Der Pfad beginnt im Nichts.
    Ein junger Mann und eine junge Frau stehen in einem weiß gekachelten Kellerraum. Sie stehen nebeneinander, aber ihre Schultern berühren sich nicht. Sie gehören zusammen, und doch trennt sie eine Entfernung, eine Luftmenge zwischen ihren Umrissen, die eine Spur zu groß ausfällt. Sie scheinen miteinander zu stehen, aber jeder ist für sich allein. Allein mit dem Toten, der auf der Bahre liegt und auf den ihre Blicke hinabfallen wie ein unwiederbringlich zu Bruch gehender Gegenstand.
    Es ist ein Körper, der da liegt. Es ist der Körper ihres Freundes. Er ist bedeckt bis zur Brust von einem grünen Tuch. Die Schultern ragen hervor, rührend spitz, daneben die Arme, Arme eines Jungen. Die Brust ist flach, und sie hebt sich nicht. Darüber der Kopf und der Hals, der in einem merkwürdigen Doppelkinn beginnt. Es ist ein Kinn, wie es der Lebende niemals hatte. Es muss an der Stellung liegen. Die Toten legen sich nicht, sie werden gebettet, ohne Rücksicht auf ein Doppelkinn, das sie zu anderen Menschen formt. Und das Gesicht? Geschlossen die Augen, gewölbt unter den großen Lidern, zugedrückt vermutlich von einem Mitarbeiter des örtlichen Klinikums. Ebenfalls annähernd geschlossen der Mund. Doch nicht ganz, denn die blasse Linie der Lippen ist an mehreren Stellen leicht unterschimmert von der Reihe der Zähne, kaum wahrnehmbar. Die Haut über Wangen und Nase ist stumpf, tatsächlich wächsern. Gelbliches Weiß, unterspannt von den Knochen, die sich in die kühle Kellerluft wölben. Viel zu hoch ragen die Nase, die Bögen des Stirnknochens unter den Brauen. Er sieht nicht aus,als schliefe er, dieser Körper. Der Tod ist mit nichts zu vergleichen.
    Der junge Mann, der steht und schaut, sieht vor sich ein Wunder, ein geheimes Mysterium. Und er vergisst zu atmen. Er streckt die Hand aus, berührt den Toten, die Finger legen sich mit der Rückseite auf dessen Wange. Sie ist kalt, kälter als erwartet, so als hätte in diesem Körper niemals Wärme zirkuliert, niemals eine mittlere Körpertemperatur von 36,8 Grad Celsius. Die Wange ist kalt, und der junge Mann weiß nicht, wo der Ursprung dieser Kälte liegt, ob sie daher rührt, dass der Leichnam aus dem Eis kommt, ob sie aus der Kühlanlage des örtlichen Klinikums stammt, oder ob es schlicht der Tod ist, der allgemeine, ganz einfache Tod, der sie mitbringt. Der Eiswürfel streut, die Luft einfriert um die Gestorbenen und damit sein Reich absteckt, glasklar für alle Lebenden.
    »Nein«, sagt der junge Mann und schüttelt den Kopf. »Nein, das ist er nicht.«
    »Bitte?«, fragt ein etwas abseits stehender Polizeibeamter. Die junge Frau hebt ihren Kopf, sieht ihn an wie einen Fremden, der einem bekannt vorkommt.
    »Das ist er nicht«, wiederholt der junge Mann. Und es stimmt, er ist es nicht. Weiß der Himmel, was das ist auf der Bahre im unterkühlten Keller des örtlichen Klinikums Samedan. Es ist definitiv nicht Marc.

FLIEGEN
    Der Tod hat mit dem Leben nichts zu tun, dachte Holler. Wir dürfen uns nicht um den Tod kümmern, solange wir leben, denn solange wir leben, sind wir nicht tot, und umgekehrt. DasLeben und der Tod existieren niemals gleichzeitig und sind daher zwei völlig verschiedene Paar Stiefel, dachte Holler im Flugzeug nach Genua, während sein Blick durch die Scheibe zusammen mit dem Schatten des Fliegers über die weiße Wolkendecke zog. Der Flügel schwankte. Sonnenlicht lagerte in der Rundung der Scheibe. Eine schlecht geschlossene Gepäcktür vibrierte klackend.
    »Geht’s dir nicht gut?«, fragte Didi.
    »Mir ging’s nie besser«, antwortete Holler, aber es stimmte nicht ganz.
    »Du siehst zum Kotzen aus.«
    »Das hast du vorhin schon erwähnt.«
    »Du siehst jetzt aber noch schlimmer aus, ist dir schlecht?«
    »Ich hab wenig geschlafen, das ist alles.« Holler senkte die Tonlage, um das Thema abzuschließen.
    »Immer noch Hedda?«, fragte aber Diedrich investigativ.
    Da es das Einfachste war, zu nicken, nickte Holler und sah aus dem Fenster. Diedrich, der erst am Vortag aus den USA, den Staaten , wie er es nannte, zurückgekehrt war, wo er, wie er sagte, den Beruf mit dem Vergnügen verbunden und bei Sessions in den angesagtesten Jazzclubs teilgenommen

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