Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
aussehen würde im Alter, das Betty an diesem Morgen auf einmal nicht besonders begehrenswert erschienen war.
Sie standen. Die Zeit aber strebte eilig an ihrem Auto vorbei. Bettys Blick tastete sich über die Windschutzscheibe, weg von Alfredos Strich, der früher einmal ein Mund gewesen war, wanderte jetzt über die kleinen und größeren Spritzer von Fliegendreck und versuchte sie zu verbinden, imaginäre Linien zu ziehen zwischen den einzelnen Punkten, eine sinnvolle Figur in den Insektendreck hineinzulesen, aber es gelang ihr nicht. Kein Sternbild, kein Diagramm, keine Landkarte wollte entstehen. Sie musste lächeln. Ein halber Seitenblick spaltete sich von ihr ab, glitt eigenmächtig zu Alfredo hinüber, der dies spürte, den Kopf in ihre Richtung wandte, aber die Lider senkte. Ihre Knie, unter dem geblümten Sonntagsrock, schienen das Äußerste zu sein, das er von ihr ansehen konnte.
»Wir sollten das Auto mal putzen«, sagte Betty.
»Wir sollten es nicht putzen, sondern verkaufen. Scheiß Autos«, murmelte er.
»Dann verkauf es doch«, sagte sie, Blick auf ihre Fingernägel, wo es außer Fingernägeln nichts zu sehen gab.
Er aber atmete nur tief durch die Nase, drückte sich mit geraden Armen vom Lenkrad weg tief in den Sitz.
»Gut«, sagte sie »gut, dann eben nicht«, und faltete die Arme fest vor ihrer Brust zusammen.
Als sie die Autobahn erreicht hatten, riss der Fahrtwind an Bettys Haaren, schleuderte die Spitzen um ihr Gesicht. Mehrmals strich sie sich das Haar hinter die Ohren, was sinnlos war, also schloss sie das Fenster. Die Nachrichten verkündeten Anschläge im Nahen Osten, Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung. Ein Kugelschreiber, der auf der Ablage lag, ratterte gegen eine Kassettenhülle. Eine dicke Fliege knisterte an der Windschutzscheibe, und seitlich schwappte Sonnenlicht über Bettys Beine,über Alfredos Hand, die auf der Gangschaltung lag, durchkreuzt von dunklen Linien, schattigen Flächen, Schatten von Reklameschildern, von Strommasten, die durch die viereckige Helligkeit des Autos wankten und zur Heckscheibe hinaus verschwanden.
Betty senkte die Sichtblende, setzte die Sonnenbrille auf und starrte mit getöntem Blick auf die Landschaft. Hügelland. Die ferne Bebauung erinnerte an Schafsherden, die sich auf den Wiesen zusammendrängten.
»Wir können es ja mal inserieren«, fing sie neu an, »und sehen, was wir noch dafür kriegen.« Besser als im Schweigen zu ertrinken, dachte sie, besser im Redebötchen sitzen, auch wenn es klein ist und schwankend.
»Was können wir?«, fragte Alfredo.
»Wir können das Auto inserieren.«
»Ich brauche das Auto«, sagte er.
»Wieso brauchst du es jetzt auf einmal wieder?«
»Weil ich es brauche, für meine Eltern, für die Arbeit.«
»Du gehst doch immer zu Fuß zur Arbeit.« Betty beobachtete die Fliege, die knisternd über die Windschutzscheibe taumelte und die Punkte miteinander zu verbinden schien.
»Ich muss manchmal in die Provinz, und dann brauche ich das Auto.«
»Für die beiden Male im Jahr kannst du dir auch eins leihen.« Flügelsurren.
»Ich brauche das Auto in erster Linie für meine Eltern, was soll denn das jetzt?«
»Na gut«, sagte sie und wunderte sich über den schrillen Ton ihrer Stimme, »dann hör aber auch auf, ständig über Autofahrer und die Scheiß-Autofahrer-Lobby zu meckern! Und überdas Weltklima und die Luft in Neapel. Wer Auto fährt, ist Autofahrer und fertig.«
»Du kannst ja aussteigen.«
»Dann bleib stehen.«
Obwohl sie es nicht direkt wörtlich gemeint hatte, fuhr Alfredo bei nächster Gelegenheit auf einen Parkplatz, um anzuhalten. Betty, etwas verwirrt, ohne es sich aber anmerken zu lassen, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und stieg aus. Sie drehte dem Polo den Rücken zu, legte die Arme vor der Brust übereinander und wartete. Ein Sonnenstrahl fiel ihr in den Nacken und lief die Wirbelsäule hinunter. Das Zischen der vorüberfahrenden Autos zerriss die Vorfrühlingsluft. Ein sanfter Windhauch bemühte sich, einen leeren Pappbecher einige Zentimeter vor sich her zu schieben. Alfredo stellte den Motor ab. Betty beobachtete den Pappbecher, den der fleißige Wind bis zu ihrem Schuh getrieben hatte. So würde sie nun stehen können bis ans Ende der Zeit, bis ein trompetender Engel käme und sie an den Haaren in die Hölle zöge, du sollst nicht streiten. Ich streite nicht.
Ein Quietschen der Beifahrertür, die in der Halterung nachschwang.
»Betty«, Alfredos Stimme klang nicht
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