Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Tennisspielerinnenbeine, wie er dachte, und auch ein Tennisspielerinnenröckchen hätte ihr unbedingt gestanden. Die Schülerin, die das Auftreffen seines Blicks zu bemerken schien, bemühte sich, den Spalt zu schließen, indem sie rasch darüberstrich. Sobald sie jedoch die Hände wieder auf die Tasten legte, öffnete sich der Rock erneut. Der Rock, dachte Tom, ist schön, aber definitiv nicht geeignet für den Klavierunterricht.
Er müsse wirklich entschuldigen, sagte sie plötzlich, denn es war ihr eingefallen, dass sie ihm noch nichts zu trinken angeboten hatte, und mit der Außenseite ihres Zeigefingers beseitigte sie eine lose Haarsträhne aus der Stirn. Eilig ging sie davon, ohne noch eine Note gespielt zu haben, indem sie den Rock glatt strich und mit ihrem Becken Schleifen in die Luft hineinschrieb.
Tom aber blieb allein zurück. Vor der Glasscheibe glitt lautlos ein Hund vorüber. Zwei weitere, nahezu identische Hunde, die mit einem orangeroten Ball spielten und geräuschlos im tiefen Grün der Tannen verschwanden. »Hier haben wir alles«, riefFrau Hermanns, deren rhythmisch sich nähernde Schritte die Stille zertrümmerten. Während sie den Bioapfelsaft, wie sie betonte, in zwei hohe schlanke Gläser goss, bemühte sich Tom, nicht in ihr Dekolleté zu sehen, was sich allerdings angeboten hätte, denn sie trug eine dunkelseidene Bluse, hauteng, deren oberste Knöpfe geöffnet waren. Vielleicht sah er aber dann doch hinein, während er sich überlegte, warum es eigentlich nicht erlaubt war, in Dekolletés hineinzusehen, da dieselben ja doch eigentlich dafür hergerichtet waren, dass man in sie hineinsah.
Unschlüssig gingen ihre schlanken Finger über die Tasten. Tom fragte, ob sie das Stück geübt habe. Nachdrücklich nickte sie, fast empört. Plötzlich senkte sie den Kopf und seufzte.
Sie sei einfach nicht dazu gekommen. Das Haus, der Garten, flüsterte sie, indem sie den Kopf gesenkt hielt, so dass Tom ihre Nackenwirbel sah, die oberhalb der Schulterblätter rund hervortraten. Der Garten, das Haus, die Tiere, wiederholte sie, es sei zu viel, sei einfach zu viel. Seitlich, mit verschobenem Mund, blies sie sich eine Haarsträhne von der Wange. Tom spürte am Hals ihren Atem, der dezent nach Parfum roch. Plötzlich hob sie den Kopf, ein Blick löste sich von ihr und sprang zu ihm hinüber, fixierte ihn aber nicht, sondern pendelte hastig zwischen seinen Augen. Zwei Glasmurmeln, ihre Augen, hin und her rollende, graue Glasmurmeln, dachte Tom und versuchte, anhand der Kinderfotografien auf dem Flügel ihr Alter zu berechnen.
»Wenn es Ihnen lieber ist, dann machen wir für heute Schluss«, sprach er.
Frau Hermanns jedoch, als hätte sie ihn gar nicht gehört, stand mitten in seinen Satz hinein auf, strich mit beiden Händen über ihre Hüften, bevor sie die langen Finger über demSchoß verzahnte und in gesenkter Tonlage sagte: »Ich darf Sie nun bitten, zu gehen, ich fühle mich nicht ganz wohl.« Nachdrücklich schloss sie die Lider, wartete betont, bis ihr Klavierlehrer aufgesprungen war, bevor sie mit wiegendem Schritt und professioneller Überlegenheit voranging, denn sie war es, nicht er, wie sie ihm mit ihrer gesamten Haltung signalisierte, die eine bezahlte Dienstleistung in Anspruch nahm, sie war es, die sich dieselbe leistete und leisten konnte und deshalb auch entschied, wann der Unterricht beendet wurde und wann nicht.
Als sie einander vor der Eingangstür gegenüberstanden, wo Tom ihr seine Hand entgegenstreckte, ergriff sie dieselbe nicht, sondern verschränkte zunächst die Arme vor der Brust, indem sie Kopf und Oberkörper leicht nach vorn neigte, als wolle sie die Struktur des Marmorfußbodens oder die Effizienz des Reinigungspersonals untersuchen. Dann schleuderte sie den Kopf in den Nacken, blinzelte einige Male, hob ihre Hand und legte sie zart an sein Gesicht, ungefähr da, wo die Wange in den Hals übergeht. Tom vergaß zu atmen, die Berührung war kühl, und doch meinte er, dass seine Haut brenne, als hätte er eine mentholhaltige Salbe aufgetragen. Ohne seinen Oberkörper zu bewegen, tastete er mit der Hand hinter seinem Rücken nach der Klinke, öffnete die Tür, und trat rückwärts auf den Treppenabsatz hinaus. Frau Hermanns ließ langsam ihre Hand sinken. Ihre Augen vergrößerten sich. Sie schienen herauszufallen. Ohne seinen Abschiedsgruß zu erwidern, schloss sie die Tür.
Tom aber schrieb einen langen Brief an Marc, in dem er von der Mentholhitze auf seiner Wange
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