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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Vorspiegelung einer Komplizenschaft, die es nicht gab.
    »Was sagst du wieder dazu ?«, fragte sie und zeigte, weil sie wusste, dass er nichts dazu zu sagen haben würde, auf den Zeitungsartikel.
    »Tja.« Er hob die Schultern, schluckte hörbar, wodurch an seinem Hals eine kantige Wölbung auf und ab hüpfte. Er hatte noch nichts angerührt, saß nur da wie ein artiger Schüler, der auf das Signal zum Anfangen wartet.
    Wenn er nicht langsam esse, werde alles kalt, sagte sie im Ton einer fürsorglichen Tante, blätterte in der Zeitung, und er begann wirklich zu essen, und ihr entging nicht der feine Schwung seines Handgelenks beim Entfalten der Serviette, der auf seine Herkunft hindeutete, weit oben in der Stadt.
    Sie blätterte eine zweite, offenbar ältere Zeitung durch. Sie spürte auf ihrem Gesicht den Zeichenstift seiner Vorstellung, der sie retuschierte und mit Weichzeichner versah, und als sie unvermittelt über den Rand der Zeitung zu ihm aufblickte und er hastig die Lider senkte, hatte sie plötzlich das Gefühl, ihn nicht als das zu sehen, was er augenblicklich war, sondern als das, was er in spätestens fünfzehn Jahren sein würde: ein Chefarzt mit Bauchansatz, hoher Stirn aufgrund von Geheimratsecken, mit zwei bis drei hübschen Kindern und einer ebenso hübschen, dunkelblonden Gattin, wohnhaft in Posillipo oder einer besseren Gegend des Vomero, alle wie für ein Familienfoto auf einem antiken wertvollen Sofa angeordnet, lächelnd. Sie kann im Zimmer seiner Zukunft herumgehen und sich einen Augenblick lang mit der lächelnden Familie aufs Sofa setzen und bleibt doch ein Gast, der dort nicht hingehört.
    Carlo räusperte sich, tupfte mit der Serviette über den Mund,bevor er sie zusammenfaltete und unvermittelt von einem Chirurgenkongress in Mailand zu reden begann. Hochkarätig besetzt, aber im Grunde sei es ja immer dasselbe. Dann schwieg er wieder. Sie blätterte in der Zeitung, hörte, wie Carlo sich räusperte, das Trommeln seiner Fingernägel auf dem Tisch, Geschirrklirren, die Glastür, die aufflatterte und mit einem Schwung zuschlug. Alle Geräusche erschienen größer zu dieser Stunde der fast leeren Kantine, der langsam, Sekunde um Sekunde, verrinnenden Mittagspause. Betty sah auf die Uhr. Vom Oberärztetisch flog schallendes Gelächter herüber, und ihr Blick sprang vom Zifferblatt zurück auf die Feuilletonseite, wo er abrupt bei einem Foto stehen blieb: ein Jazzquartett auf einer großen Bühne, die Gesichter weiß, etwas überbelichtet durch die Scheinwerfer, und doch erinnerte sie der Pianist an jemanden, eine Ähnlichkeit war es, nichts weiter, die Kopfhaltung oder das offenbar dichte dunkle Haar, die Körperhaltung im Allgemeinen, die nach vorn geneigten Schultern, der gebeugte Nacken, während der Blick aber erhoben ist zu dem in der Mitte stehenden Kollegen, den sie nun deutlich erkannte, weil es Diedrich ist, genannt Didi, von Jagow, der Saxofonist mit der lockigen, bis zum Kinn reichenden Frisur und dem etwas speckigen, scheinbar alterslosen Gesicht, und demnach kannte sie auch den Pianisten.
    Vitelli sagte: »Qualitätsmanagement.« Betty nickte. Vitelli sagte: »Die Mailänder sind ja schon immer Snobs gewesen.« Betty nickte, entzifferte die Bildunterschrift, und erst jetzt, als sie diesen Namen las, merkte sie, wie ihr Herz pochte, während sie wieder und wieder die Anordnung von Schriftzeichen las, die doch nur Schriftzeichen waren in bestimmter Reihenfolge auf Papier: Il Quartetto mare , Tom Holler, Pianoforte , die Auflistungder Tourdaten, Genova, Roma, Napoli, Palermo. Und gleichzeitig begann es in ihrem Kopf zu rechnen. Nicht sie rechnete, sondern etwas, das aber nicht gut rechnen konnte, rechnete: Wann ist das, heute ist … und so weiter, also übernächste Woche, Dienstag oder Mittwoch, wie auch immer.
    »Betty!« Sie hörte ihren Namen, fühlte sich aber nicht angesprochen. Carlo, der ihre Verwirrung offenbar auf sich bezog, berührte sie leicht am Handgelenk. Sie sah es, sah zu ihm auf, brauchte lange, um ihn scharfzustellen. Sein Mund bewegte sich weiter, aber ohne Ton. Und auch seine Gesichtszüge verschwammen wieder zu einer hellen Fläche.
    Plötzlich hörte sie ihn sagen: »Betty. Ich würde dich gerne zum Essen einladen.«
    »Ja«, sagte sie, auf einmal froh, ihn zu sehen. »Total gern.«

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