Die Orks 01 - Die Rückkehr der Orks
müssen wir«, äffte Rammar seinen Bruder nach. »Ist dir klar, wie hoch das ist? Das schaffen wir nie im Leben.«
»Du nicht«, stimmte Balbok ihm grinsend zu. »Aber ich.«
Rammar erwog für einen Augenblick, seinen Bruder für diese Frechheit zu erschlagen. Die Sache war nur – Balbok hatte Recht. Sehnig und kräftig, wie der jüngere Ork war, konnte es ihm durchaus gelingen, sich am Seil bis zum Fenster emporzuhangeln. Rammar hingegen würde mit seinem Körpergewicht keine zehn Mannshöhen weit kommen. Außerdem – war es nicht auch viel klüger, hier zu bleiben und abzuwarten, bis Balbok die Karte besorgt hatte? Schließlich hatte dieser ihm ja gerade einen Vortrag darüber gehalten, welch vortreffliche Schwertkämpfer und Bogenschützen die Elfen wären und dass sie ihre Festungen und Tempel mit Fallen sicherten. Dieser Angeber! Wenn er sich so gut mit den Elfen auskannte und angeblich sogar wusste, was ihn innerhalb ihrer Tempelmauern erwartete, sollte er die Sache ruhig allein erledigen …
»Ich verstehe«, sagte Rammar deshalb listig. »Du willst mich nicht dabeihaben. Bisher war ich dir mit meinem Verstand nützlich, aber jetzt bin ich nur noch ein Hindernis für dich, und du willst alles tun, damit die Saga, die dereinst in unserem bolboug erzählt wird, nicht heißt ›Der tapfere Rammar und sein Helfer Balbok‹, sondern ›Der tapfere Balbok und sein Helfer Rammar‹. Aber – nun gut …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin dir nicht böse. Geh nur und hol die Karte. Ich werde so lange hier auf dich warten.«
»Du willst nicht mitkommen?«
»Bist du so dämlich, wie du aussiehst?«, schnaubte Rammar. »Ich würde gern mitkommen, aber ich kann nicht, das hast du selbst gesagt. Ich bin zu fett, um am Seil hochzuklettern.«
»Und wenn es eine andere Möglichkeit gäbe?«
Rammar bemerkte nicht das Blitzen in den Augen seines Bruders, sonst wäre er vorsichtig gewesen. So jedoch sagte er leichtsinnigerweise: »Wenn es eine Möglichkeit gäbe, würde ich nichts lieber tun, als dich zu begleiten. Schließlich haben wir dieses Abenteuer gemeinsam begonnen, und ich will es auch gemeinsam mit dir beenden.«
»Korr«, bestätigte Balbok grinsend. »Ich sage dir, wie wir es machen: Ich werde raufklettern und dich dann am Seil hochziehen.«
»D-du willst mich hochziehen?«
»Genau.«
»Und – wenn du mich fallen lässt?«
»Dann brauchst du dir keine Sorgen mehr wegen der Elfen zu machen«, erwiderte Balbok in seltener Schlagfertigkeit. »Was ist?«, fügte er hinzu, als sein Bruder zögerte. »Stimmt was nicht? Gerade noch wolltest du unbedingt dabei sein, und jetzt …«
»Ist ja schon gut, ich bin einverstanden«, wiegelte Rammar ab. »Und wie willst du das Seil oben befestigen, damit du selbst daran hochklettern kannst?«
»Indem ich das Seil an meinen saparak verknote und ihn durchs Fenster werfe«, antwortete Balbok.
»Und du triffst? Und kannst so hoch werfen?«
Balbok grinste nur.
»Hm.« Rammar schürzte die Lippen. »Der Einfall hätte von mir sein können. Aber ich warne dich: Wenn du shnorsh baust und wir entdeckt werden, werde ich viel schlimmere Dinge mit dir anstellen, als diesen Spitzohren einfallen könnte.«
»Schon gut.« Balbok zuckte gleichmütig mit den Schultern – hätte er jedes Mal, wenn sein Bruder ihm ein gewaltsames Ende androhte, eine Kerbe in den Griff seiner Axt geschnitten, die Waffe wäre mittlerweile nicht mehr zu gebrauchen gewesen.
Gelassen bereitete er sich auf die gefährliche Mission vor. Köcher und Bogen nahm er von seinen Schultern, griff nach dem Seil und entrollte es. Dann ging er daran, in regelmäßigen Abständen Knoten hineinzumachen.
»Wozu soll das denn gut sein?«, fragte Rammar mürrisch.
»Damit ich nicht abrutsche«, erklärte Balbok, und Rammar musste zugeben, dass auch diese Idee gar nicht mal so dämlich war. Nachdem er sein Werk beendet hatte, rollte Balbok das Seil wieder auf und schlang es sich über die Schulter. An das Ende knotete er den saparak fest.
»Bist du allmählich fertig?«, fragte Rammar ungeduldig.
»Fertig.«
»Dann los, du langes Elend. Und lass dich ja nicht erwischen, hörst du?«
Balbok murmelte etwas Unverständliches und setzte sich in Bewegung. In gebückter Haltung, die Kapuze des Umhangs über dem Kopf, rannte er auf die Mauer zu, die als steile Wand vor ihm aufragte und in der sich die Fensteröffnung befand.
Allein der Anblick der eisverkrusteten Wand ließ Rammar das Blut in den Adern
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