Die Orks 01 - Die Rückkehr der Orks
Rammar trotzig. Er verkrallte seine Linke im Haar der Geisel, die noch immer über Balboks Schulter lag, zerrte ihren Kopf hoch und hielt ihr die Speerspitze an die Kehle. »Wir haben die Priesterin, und nur sie kennt das Geheimnis. Wenn ihr euch nicht vorseht, ist sie tot und die Karte von Shakara für immer verloren.«
»Vielleicht. Aber du kannst auch nicht ewig hier stehen und ihr Leben bedrohen.«
Das war leider wahr, wie Rammar sich eingestehen musste. Früher oder später würde es zu einem Kampf kommen, und es bestand kein Zweifel daran, wie dieser Kampf ausgehen würde …
»Da!«, flüsterte Balbok plötzlich.
»Stör mich jetzt nicht!«, knurrte Rammar. »Ich muss nachdenken!«
»Dort drüben!«, drängte sein Bruder.
»Was ist denn?«, fragte Rammar unwirsch.
»Die Vertiefung in der Wand …«
Rammar folgte mit seinem Blick der ausgestreckten Klaue seines Bruders, und auch er entdeckte nun die Nische, die sich auf der linken Seite des Tors im Mauerwerk befand.
Der Öffnungsmechanismus?
»Übernimm du hier«, knurrte Rammar, und während nun Balbok die Gefangene bedrohte, lief er zu der Nische. Tatsächlich – in der Nische war eine viereckige Steinplatte versenkt, und in der wiederum sah er den eingemeißelten Abdruck einer schmalen Hand, offenbar einer Elfenhand.
Da sie nichts zu verlieren hatten, konnte es nicht schaden, das einmal auszuprobieren. Rammar hob die Klaue, um sie in den steinernen Handabdruck zu legen.
»Denk nicht mal dran!«, rief die Priesterin. »Dies ist ein Abdruck der rechten Hand Farawyns. Nur Könige des Elfengeschlechts vermochten die Pforte einst auf diese Weise zu öffnen, das letzte Mal vor mehr als achthundert Jahren!«
»Nur Könige des Elfengeschlechts – so, so …«, sagte Rammar grinsend. Nun konnte er erst recht nicht widerstehen, und kaum hatte er seine Klaue in den Abdruck gelegt, glaubte er zu spüren, wie sich der kalte Stein auf einmal erwärmte.
Ein blaues Glühen wie das, das von den Kristallen ausgegangen war, umgab plötzlich das Tor und den schweren Riegel – und im nächsten Augenblick hob sich dieser wie von Geisterhand.
»Nein!«, rief Alannah entsetzt, und die Wachen, einschließlich ihres beherzten Hauptmanns, fuhren zurück.
Unter ohrenbetäubendem Knirschen und Kreischen, das den Tempel bis in seine Grundfeste erbeben ließ, öffnete sich das Tor! Langsam schoben sich die steinernen Flügel auseinander, Eis splitterte von ihnen ab und fiel nach unten, und klirrend kalte Luft fegte von draußen heulend und pfeifend herein. Das Dämmerlicht der langen Nordnacht drang durch den sich stetig verbreiternden Spalt, während die Torflügel unter lautem Getöse aufschwangen und den Orks den Weg in die Freiheit öffneten.
»Bei Kuruls dunkler Flamme!«, rief Rammar, und auch Balbok schüttelte sich vor Grauen. Obwohl die Orks Kreaturen der Finsternis sind, ist die Furcht vor allem Magischen und Übernatürlichen tief in ihnen verwurzelt, und dass es ausgerechnet fauler Elfenzauber war, der ihnen die Flucht ermöglichte, erschien den beiden Brüdern höchst verdächtig.
Auch die Elfen hatten sich noch nicht von ihrem Schrecken erholt; die Priesterin war derart überrascht, dass sie aufgehört hatte, sich zu wehren und ihre Entführer zu beschimpfen, und die Wachen standen wie angewurzelt, konnten nicht glauben, was sie sahen.
Balbok war der Erste, der die Fassung wiedererlangte. »Worauf warten wir?«, fragte er – und die Orks fuhren herum und wandten sich zur Flucht. Mit ihrer Gefangenen hetzten sie hinaus in die kalte Nacht.
»Das ist nicht möglich!«, rief die Priesterin und vergaß dabei ganz, sich Balboks Griff zu widersetzen. »Das ist einfach nicht möglich …«
»Mach den Mund wieder zu, Elfenweib – es zieht!«, versetzte Rammar brüsk, während sie über den gefrorenen Schnee rannten, der unter ihren Tritten knirschte. »Inzwischen solltest du begriffen haben, dass echten Orks nichts unmöglich ist!«
»Aber es ist die Pforte Farawyns, und es ist seine Hand, die in den Stein gemeißelt wurde. Niemand vermag das Tor zu öffnen …«
»Niemand außer uns!«, entgegnete Balbok grinsend.
»Es ist einfach nicht möglich«, beharrte die Priesterin trotzig und verfiel in grübelndes Schweigen.
Rammar war es nur recht. Das Gezeter der Elfin war ihm auf die Nerven gegangen, zudem hatten Balbok und er ganz andere Sorgen, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen, weshalb sich das Tor plötzlich geöffnet hatte. Eine halbe
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