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Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)

Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)

Titel: Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel …
    Der Padre ließ die Worte vor seinem inneren Ohr erscheinen und vorüberziehen wie eine langsame, feierliche Musik. Und als er am Ende angekommen war, kam wieder Leben in seine Finger, die erneut blätterten und die nächste Textstelle suchten. Jesus in der Wüste – vierzig Tage allein und voller körperlicher Entbehrungen, um den Geist zu ordnen und zu der großen Aufgabe zu finden, die auf ihn wartete. Und in diesen vierzig Tagen geschah es, dass der Heiland vom Satan versucht wurde, dass er dieser Versuchung widerstehen musste – und widerstand.
    Der Padre atmete tief durch. Diese gedanklichen Sprünge durch die verschiedenen Bibelstellen liebte er. Diese freie Assoziation zwischen den Texten. Immer wieder spürte er auf, wie ein Motiv an der einen Stelle ein anderes an einer anderen vorwegnahm, wie es sich darauf bezog oder es fortführte. Und er war im Moment gedanklich nur im Neuen Testament unterwegs. Noch viel abgründiger waren die Anknüpfungspunkte, die von den Evangelien ins Alte Testament führten – hinein in die weit zurückliegenden Zeiten, in denen Moses am Berge Sinai die Zehn Gebote empfing oder in die Lebensgeschichten der Propheten, die in vielfältiger Weise das Erscheinen des Messias vorwegnahmen –, wonach der Padre dann wieder ins Neue Testament zurückkehrte.
    Er hatte sich gerade so richtig in sein Bibelvergnügen hineingesteigert, da störte ihn etwas. Das Telefon klingelte.
    Padre Antonio seufzte. Musste das sein?
    Wie auch immer. Der magische Moment war ohnehin zerstört. Er sollte sich für seine Bibellektüre einen anderen Platz suchen. Einen, an dem er nicht zu erreichen war.
    Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Jemand, der nicht besonders gut italienisch konnte, sprach auf ihn ein.
    »Entschuldigen Sie«, rief Padre Antonio dazwischen. »Ich verstehe nicht. Wer sind Sie?«
    Der Mann murmelte etwas Unverständliches, das wie das deutsche Wort »Sessel« klang. Der Padre hörte zu. Langsam begriff er, dass der Anrufer ebenfalls ein Kirchenmann war. Und was er für »Sessel« gehalten hatte, war der Name, mit dem sich der Anrufer vorstellte.
    »Ich arbeite für den Vatikan …«
    Padre Antonio nahm unwillkürlich Haltung an. Der Vatikan war geografisch nicht weit entfernt, aber ansonsten eine ferne, andere Welt – so fern wie der Mond. Was konnte ein Vertreter dieser Welt des Papstes von ihm wollen?
    »Und ich spreche wirklich mit Padre Antonio?«, fragte der Mann. »In San Martino?«
    Endlich etwas Verständliches. »Ja, das ist richtig. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Den Padre packte Nervosität. Wollte am Ende jemand vom Vatikan seine kleine Gemeinde besuchen? Bei dem Gedanken bekam er weiche Knie. Welche organisatorischen Aufgaben würde das nach sich ziehen? Wäre er ihnen gewachsen?
    »Wir kennen uns«, sagte der Mann nun. »Vor etwa dreißig Jahren war ich bei Ihnen, um etwas Bestimmtes zu suchen. Sie hatten die Gemeinde, in der Sie arbeiten, gerade übernommen. Vielleicht können Sie sich erinnern.«
    Vor dreißig Jahren … Dem Padre fiel nichts ein. »Worum ging es?«, fragte er deshalb. »Bitte sprechen Sie langsam, Signore …« Der Padre war versucht zu sagen, dass sein Gegenüber eine so schlechte Aussprache hatte, doch in letzter Sekunde wurde ihm klar, dass das sicher unhöflich war. So dachte er sich eine Lüge aus. »… ich höre nicht so gut, wissen Sie. Also bitte – was haben Sie gesucht?«
    »Ich versuche es. Also, was ich gesucht habe …«
    Der Padre lauschte, und ein Wort tauchte aus der Rede des Mannes auf wie ein Felsen, der sich urplötzlich aus dem weiten Meer erhebt.
    »Orfeo.«
    Mit einem Mal wurde die Erinnerung wach. Der Padre spürte kalten Schweiß auf der Stirn.
    Orfeo.
    Ja, da war ein junger Priester gewesen. Er hatte sehr viel zu der alten Geschichte erzählt. Eigenartig, dass da erst jemand aus dem deutschsprachigen Raum kommen musste. Und dass kaum jemand aus Italien davon wusste.
    Und seltsam, dass der Mann gerade jetzt anrief, als …
    Der Padre wollte den Gedanken verdrängen, wie er es sich angewöhnt hatte, aber er zwang sich, ihn festzuhalten. Es war wichtig.
    Es war Vorsehung. Ein höherer Plan.
    »Jemand wird kommen und den Ort suchen«, sagte der Mann nun. »Er wird ihn nicht finden, aber …«
    »Nicht finden?«, rief der Padre. »Signore, der Ort ist … offen.«
    »Offen? Man weiß, wo er sich befindet?«
    »Wenn

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