Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
hatte er recht. Aber was sollte Mara tun?
Sie wartete ab, was Deborah schrieb.
Daran siehst Du, dass ich recht hatte. Du kannst davon ausgehen, dass es sich um die Leute handelt, über die wir gesprochen hatten.
»Sie wird nicht so dumm sein und nicht darüber nachdenken, dass ich eventuell mit meinen angeblichen Verfolgern zusammenarbeite«, sagte Mara. »Ich denke, ich muss mich wieder auf meine ursprüngliche Position zurückziehen.«
Deborah, mir ist völlig egal, wer diese Leute sind. Ich will nur nicht verfolgt werden. UND ICH WILL MEINE GEIGE ZURÜCK .
Die Antwort kam schnell.
Ich kann sie nur demjenigen geben, der bereit ist, mit mir das Geheimnis zu lösen.
ICH WILL SIE ZURÜCK .
Mara steigerte sich in die Emphase hinein. Es ging darum, die Verzweifelte zu spielen. So zu tun, als sei sie mit rationalen Argumenten gar nicht mehr erreichbar.
I CH TUE ALLES, WAS DU WILLST, ABER LASS MICH MEINE MUSIK MACHEN .
Alles?
Gibt es denn keine Möglichkeit? Du musst mich nicht umbringen. Ich werde die Geheimnisse nicht verraten …
Ich habe Dich nicht in den Wald bringen lassen, weil ich glaubte, dass Du etwas ausplauderst.
Es ist mir so was von egal. GIB MIR DIE GEIGE WIEDER.
Mara hatte sich in Rage geschrieben. Doch jetzt zögerte sie. Es kam der entscheidende Moment.
Ich kann Dir auch erzählen, was ich hier erfahren habe.
Eine Pause entstand. Unwillkürlich zoomte Mara wieder die helle künstliche Deborah-Figur heran. Der Avatar legte den Kopf ein wenig schief, hielt die Arme mal ganz eng am Körper, hob plötzlich die Hand, wie um sich eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Sogar die Brust hob und senkte sich im Rhythmus eines vorgetäuschten Atems. Mara wusste, dass all diese Animationen programmierte Schleifen waren – manchmal waren die Algorithmen so raffiniert, dass die einzelnen Elemente der Bewegungsabläufe Zufallsgeneratoren gehorchten. Doch wenn man so einen Avatar beobachtete, wollte er bei aller Raffinesse doch nicht ganz und gar realistisch wirken. Das Unterbewusstsein spürte, dass sich letztlich nur mechanische Abläufe wiederholten, die alles andere als lebendig waren. Sie wirkten umso mehr tot, je mehr sie vorgaben, Leben zu simulieren.
Was hast Du erfahren?
Die Leute, die mich gefangen gehalten haben, haben jede Menge Sachen in dieser Wohnung. Ein Archiv. Als ich versucht habe, mich daraus zu befreien, bin ich in diesen anderen Raum geraten, wo sie die Schriftstücke gelagert haben. Aber da waren nicht nur Schriftstücke. Auch Zeichnungen. Und Fotos. Ein Foto von mir. Eine Karte. Skizzenmaterial. Deborah, ich glaube, die wissen, wo sich der Ort befindet, den Du suchst.
Und Du bist aus der Wohnung entkommen?
Ja.
Und Du weißt, wo sie ist? Du kannst mich hinführen?
Warum?
Mara, dieses Material dort ist sehr wichtig für mich. Für mich und für UNS .
Aber Du brauchst dort nicht hinzugehen. Ich habe das Material bei mir.
Du hast was?
Nicht alles natürlich. Aber eine Menge. Karten, Skizzen, Fotos. Weißt Du, ich wollte doch etwas über meine Herkunft und all die Zusammenhänge erfahren. Sie haben ein Dossier über mich angelegt. Eine ganze Sammlung von Informationen. Deborah, ich glaube, die Geige stammt letztlich von ihnen. Sie müssen mich schon mein Leben lang beobachtet haben. Warum, weiß ich nicht. Aber sie haben das Material. Du hast die Geige. Nimm das Material. Gib mir die Geige zurück. Und lass mich in Ruhe. Oder hilf mir. Aber lass mich wieder Musik machen.
Bist Du jetzt in Sicherheit?
Vorerst. Das heißt, so genau weiß ich es nicht.
Und wo bist Du? Ich meine, in welcher Stadt?
»Soll ich es schreiben?«, fragte sie Jakob.
»Ich denke schon. Schreib es.«
Ich bin in Wien.
Warum gerade dort?
Ich habe Freunde hier, bei denen ich unterkommen kann. Das heißt, das dachte ich zumindest, aber sie sind nicht da. Außerdem war es der erste Flug, den ich kriegen konnte, als ich am Flughafen ankam. Das ist doch jetzt auch egal. Deborah, gib mir bitte die Geige.
Ich werde Dir einen Vorschlag machen. Du bekommst die Geige. Aber dafür musst Du mir alle Unterlagen besorgen, die es in der Wohnung gibt. Du weißt, wie viel mir daran liegt, das Geheimnis zu ergründen und die Musik zu finden, die in ihrer Geschichte verborgen ist.
»Jetzt haben wir sie«, sagte Jakob.
»Fast. Damit sie es auch wirklich glaubt, muss ich mich noch mal dumm stellen. Die Hilflose spielen.«
Aber wie soll ich das machen, Deborah? Ich bin gerade mal froh, Ihnen entronnen zu sein.
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