Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Europa.«
»Na und?«
Jakob schüttelte den Kopf, und er wirkte wie ein Lehrer, der einer Schülerin etwas Banales zu erklären versucht. »Stell dir die Antike vor«, sagte er.
Mara versuchte es, aber die Bilder, die ihr durch den Kopf gingen, beruhten nicht auf wirklicher Bildung, sondern auf Filmszenen. Sie hatte ein paar Streifen gesehen, die in der Antike spielten. Gladiator zum Beispiel. Oder Troja . Kampfszenen, Action in irgendwelchen Arenen, wo Menschenmassen den Kämpfenden zujubelten. Weiße Tempel mit schlanken Säulen, in denen Priester mit wallenden Gewändern einherschritten. Priester, die allesamt aussahen wie Verwandte von Gandalf – den Zauberer aus Der Herr der Ringe . Sie schüttelte den Kopf. Alles, was ihr einfiel, vermischte sich mit Fantasy und irgendwelchen abenteuerlichen Geschichten. »Ich kann das nicht«, sagte sie. »Ich kenn mich mit Geschichte nicht aus.«
»Die alten Griechen und auch die Römer hatten eine Religion mit vielen Göttern. Das weißt du doch … Jupiter, der bei den Griechen Zeus hieß, war der Göttervater, und dann gab es da noch andere. Venus, die Göttin der Liebe zum Beispiel. Sie hieß bei den Griechen Aphrodite. Ares, der Gott des Krieges. Artemis, die Göttin der Jagd. Sie alle und noch viel, viel mehr bildeten so etwas wie eine große Familie, deren Oberhaupt Zeus beziehungsweise Jupiter war. Was aber noch viel wichtiger ist: Der Glaube, was nach dem Tod mit den Menschen geschieht.«
»Sie kommen in den Himmel? Zu den Göttern?«
»Nein, da gibt’s einen großen Unterschied zum Christentum. In der Antike glaubte man an die Unterwelt. Man glaubte, jeder Verstorbene ziehe in diese Unterwelt ein. Man stellte sie sich wie eine richtige Landschaft vor, eine geheimnisvolle Welt mit seltsamen Ritualen. Zerberus, der schreckliche Höllenhund, bewacht diese Welt. Bevor man zu ihr gelangt, muss man den Fluss Styx überqueren, und man wird von einem geisterhaften Fährmann namens Charon auf einem Boot hinübergebracht. Er bringt den Toten in den Hades, die eigentliche Unterwelt, aus der Orpheus seine Eurydike zurückholen wollte.«
»Davon habe ich gelesen. Und weiter?«
»Die Religion, die Orpheus gründete, verkündete jedoch etwas anderes.«
Mara sah auf die Blätter, die vor ihnen auf dem Tisch lagen. »Was hat denn nun die Musik damit zu tun? Ist das nicht nur ein Mythos, dass Orpheus ausgerechnet Musiker war? Dass er mit der Musik etwas bewirkte?«
»In jedem Mythos steckt ein Körnchen Wahrheit. Und Gritti schien diese Wahrheit sehr wörtlich zu nehmen, so wie Deborah immer noch. Gritti wollte die Musik des Orpheus finden und damit Geschäfte machen. Deborah schwebt dasselbe vor. Aber in Wirklichkeit gibt es ja noch eine sehr große spirituelle Dimension. Wie die Musik da reinpasst, wird man sehen.«
»Was sollen wir jetzt als Nächstes machen? Wie helfen uns diese Informationen weiter?«
Jakob legte die Blätter nebeneinander hin – in der Reihenfolge, wie sie in dem Umschlag gewesen waren.
»Das Blatt mit den seltsamen Linien ist das einzige, aus dem wir überhaupt nicht schlau werden«, sagte er. »Meiner Ansicht nach kann es nur die Funktion haben, uns zu zeigen, wie wir die Karte benutzen sollen. Es bildet sozusagen die Brücke von der Karte zu den Noten. Es ist also eine Interpretationshilfe …«
»Wir müssen herausfinden, was das für Linien sind«, sagte Mara. »Wir brauchen Nachschlagewerke. Wir brauchen einen Computer. Wir müssen forschen. Ich habe das Gefühl, dass wir ganz nah dran sind.«
Jakob legte die Blätter zusammen und schob sie in den Umschlag zurück. »Dann müssen wir uns an einen Ort begeben, wo wir das finden«, sagte er.
»Sie waren im Stephansdom?«, fragte Deborah. »Was haben sie dort gemacht?«
Quint genoss den Schauer, den ihre Stimme in ihm auslöste. Er stand mit seinem Mobiltelefon vor einem Schaufenster in der Kärtnerstraße, etwas abseits des Menschenstroms, der an ihm vorbeifloss. Vor seinem inneren Auge sah er die Frau in der Badewanne. Ihren schimmernden Körper unter dem Wasser, auf dem der Schaum wegschmolz. Er räusperte sich. »Zuerst haben sie lange in der ersten Reihe gesessen und sich leise unterhalten. Nach einer Weile sind sie nach vorn gegangen. Dann haben sie sich getrennt. Lechner ging hinaus. Ich dachte, er trifft sich vielleicht mit jemandem, den sie angerufen haben, während Mara im Dom wartet. Ich ging ihm also nach, aber er blieb an der U-Bahn-Station stehen. Wahrscheinlich kam ihr
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