Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Karte verwandelt.«
»Die Noten stehen für Orte auf der Karte und erklären, wo sie sind. Die Zeichen sind irgendwie mit den Noten verbunden.« Er beugte sich nach vorn, eine Hand zur Faust geballt. »Das ist es. Musik wird Raum.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Mara.
»Eine Landkarte bildet einen Raum ab. Die Noten bilden Musik ab. Irgendwie verschlüsseln die Musikzeichen, was auf der Karte zu finden ist. Sie werden zu Punkten im Raum.«
»Ein bisschen verstiegen, oder?«
»Nicht aufhören«, rief Jakob. »Wir machen hier Brainstorming. Wir sagen alles, was uns einfällt. Irgendwann treffen wir ins Schwarze … Also: Musik wird Raum. Musik steht für kartografische Zeichen. Musik sind Noten. Was kann Musik noch sein? Außer Noten? Ich meine, die Noten sind ja nicht die Musik, es sind nur Zeichen, mit deren Hilfe man Musik macht …«
»Man nimmt die Noten«, sagte Mara, »und dann folgt man ihren Anweisungen, indem man sie auf dem Instrument spielt. So wird Musik daraus. Klänge, die Menschen hören können. Musik. Die Musik transportiert Gefühle.«
»Diese Kurven zeigen etwas, was die Musik bewirkt«, sagte Jakob. »Das wäre eine Lösung. Vielleicht sind es Diagramme, die die Emotionen der Menschen darstellen. Als Ergebnis von Messungen.«
»Herzrhythmusmessungen«, rief Mara. »Oder EKG s. Oder Diagramme von Hirnströmen. Gritti hat doch umfangreiche Forschungen unternommen, um herauszufinden, wie Musik auf Menschen wirkt. Vielleicht ist das ein Ergebnis davon …«
»Aber es muss mit der Karte zu tun haben«, sagte Jakob. »Sonst nützt es uns nichts.«
Er öffnete eine Internetsuchmaschine und gab den Begriff »Herzrhythmen« ein. Er ließ sich Bilder zeigen, und es erschienen auch Diagramme, wie man sie vom Arzt kannte, aber nichts davon ähnelte den Mustern auf dem Blatt.
»Ich versuche es mal mit Hirnströmen«, sagte er, tippte und wechselte die Bilder auf dem Monitor so schnell, dass Mara fast schwindelig wurde. »Nein«, sagte er schließlich, »das passt alles nicht.« Er runzelte die Stirn.
»Man beginnt mit den Noten, aber am Ende kommen Gefühle dabei heraus«, sagte Mara. »Aber eigentlich ist doch die Musik am emotionalsten, bei der man gar nicht mehr darüber nachdenkt, dass Noten am Beginn standen. Es ist die Musik, die aus dem Inneren kommt. Es ist die Musik der Seele. Es ist die Musik, die aus der Seele kommt, und die Musik, die direkt aus der Seele kommt, ist die Musik, die die Materie beeinflusst. Es ist die Kunst des Orpheus, dem ja genau das gelungen ist. Seine Musik konnte wilde Tiere besänftigen. Sie hatte Einfluss auf die Natur …«
»Die Schönheit der Musik bildet sich in der Natur ab. Jahrhundertelang glaubte man, die Gesetze der Musik besäßen dieselben Zahlenregeln, dieselben Proportionen wie die Gesetze der Natur. Die Proportionen in den Tonleitern in den himmlischen Gestirnen. Daran glaubte man in der Antike, im Mittelalter und sogar noch in der Barockzeit. Dieselben Proportionen wie in den harmonischen Zusammenklängen in den Grundverhältnissen der gotischen Kathedralen. Die ewige, die göttliche Harmonie …«
»Aber es geht um die Wirkung der Musik, es geht darum, was der Musiker erzeugt . Sind diese Muster nicht ästhetisch und regelmäßig? Sie sehen wie Kunstwerke aus, sie zeigen die Harmonie der Musik auf optische Weise. Klang wird Bild …«
Es war wie beim Improvisieren auf der Geige. Eins kam zum anderen, und man kam auf immer neue Ideen, wenn man dem Auswählen, dem Zensieren nicht so viel Raum gab. Am besten gar keinen Raum. Man konnte immer weiter assoziieren.
»Klang wird Bild – das ist gut«, fasste Jakob zusammen.
»Und wenn Klang Bild wird, dann sind es nicht die Noten, mit denen der Musiker begann. Die Noten kommen erst nach dem Bild der Karte, und sie kommen erst nach den Mustern. Sie sind nichts anderes als Protokolle, die man nachträglich angefertigt hat.«
»Klang wird Bild«, wiederholte Jakob nachdenklich, als habe er nicht zugehört, aber wahrscheinlich war das, was Mara gesagt hatte, über sein Unterbewusstsein in ihn gedrungen. Er tippte wieder etwas in den Computer – so schnell, dass Mara gerade so lesen konnte, welche Wörter es waren: Klang wird Bild .
Sein kleiner Finger knallte auf die Entertaste.
Auf dem Monitor erschienen Bilder.
Und sie sahen fast genauso aus wie das auf dem ausgedruckten Blatt.
Quint schlenderte so unauffällig wie möglich durch die Straßen und Gassen Wiens. Es waren viele Menschen
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