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Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)

Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)

Titel: Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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darauf gebracht. Die Segnungen des Computerzeitalters helfen uns weiter. Schau mal hier.«
    Mara kniff die Augen zusammen, um zu lesen, was auf der sehr textreichen Seite stand. Es war das Portal einer Universität in den USA . Und es ging um akustische Forschungen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern befasste sich mit Chladni und seinen Erkenntnissen. Mara las weiter bis zum Ende, und schließlich blieb sie an einem Feld hängen, auf dem »Virtual Tonograph« stand. Es war ein Programm, das man herunterladen konnte.
    »Es gibt ihn als Computerprogramm«, erklärte Jakob. »Wenn ich das richtig sehe, wird so der PC selbst zum Erzeuger der Klangfiguren. Man braucht dann nur noch ein Mikrofon.«
    »Und man braucht die Geige«, sagte Mara bitter. »Einen Klangerzeuger. Aber der ist weg. Zerstört. Kaputt.«
    Jakob hatte den Download gestartet. »Die Geige mag zerstört worden sein«, sagte er. »Aber ich weiß, wie wir trotzdem an ihren Klang kommen.«
    »Aber wie?«, rief Mara. Der Schmerz hatte sich zu einem wulstigen Kloß zusammengezogen, der in ihrem Bauch steckte und sogar ihre Stimme heiser erscheinen ließ. »Wir werden nie mehr meine Geige hören.«
    »Bist du sicher?« Ein hintergründiges Lächeln umspielte Jakobs Lippen.
    »Natürlich bin ich sicher«, schrie sie. »Oder willst du die Geige aus der Donau holen?«
    »Das brauchen wir nicht.« Jakobs Stimme blieb sanft. »Der Verlust der Geige ist zwar schrecklich, aber ihren Klang …« Er wandte sich dem Rechner zu. »Ihren Klang haben wir.«
    Mara verfolgte schweigend, wie er Youtube aufrief, in das Suchfeld »Mara Thorn« eingab und das Video erschien, das Björn von ihr gedreht hatte. Da stand sie und spielte. Selbstvergessen und glücklich. Ihre Tamara in der Hand. Das dunkle Holz glänzte.
    »Du vergisst, dass es eine Menge Aufnahmen von dir und deiner Geige gibt. Und die können wir nutzen. Die hier wird tontechnisch nicht gut genug sein. Aber es gibt ja andere.«
    Mara war wie vom Donner gerührt. »Und das kannst du?«
    Jakob nickte. »Ja, das kann ich.«
    »Aber … es ist doch nicht ihr richtiger Klang. Ich meine, er ist digital verändert worden.«
    »Es ist nur eine Frage der Rechenleistung, wie nahe man an das Original kommt, glaub mir. Wir müssen es versuchen.«

48
    Nach zwei Stunden begann Quint, die Geduld zu verlieren. Was hatten die da drin vor?
    Er hatte sich vorgestellt, dass die beiden nicht die ganze Nacht im Antiquariat verbringen würden. Sie hatten doch sicher viel zu viel Angst vor ihm und seiner Rückkehr.
    Es war bereits nach elf. Hier in der Nebenstraße war es ziemlich ruhig geworden. Der nie endende Klang der Stadt, das Gemisch aus Motorengeräuschen, das sich zu einer feinen Wolke verdichtet hatte, lag als ständiges Rauschen hinter den Häusern. Ab und zu rasselte in deutlicher Entfernung eine Straßenbahn.
    Plötzlich kam ihm ein Gedanke: Waren wirklich Mara und Jakob dort in dem Hinterzimmer?
    Er drückte sich erneut an die Glastür und blickte hinein. Da war immer noch der senkrechte Strich aus Licht. Doch so lange er auch wartete – das Phänomen, dass er sich verdunkelte, wiederholte sich nicht. Waren sie geflohen? Gab es doch einen Hinterausgang?
    Er legte das Ohr an die Scheibe.
    Es war nichts zu hören.
    Keine Stimmen, keine Unterhaltungen.
    Das Hinterzimmer war auch viel zu weit weg.
    So verharrte er eine Zeit lang und konzentrierte sich. Doch, da war etwas. Ein klagender Laut. So etwas wie Gesang. Auf jeden Fall Musik.
    Jetzt, wo er es erkannt hatte, schien sie lauter zu werden, und Quint konnte sogar einzelne Töne unterscheiden. Sie kamen herangeschwebt wie kleine Wolken, durchdrangen die Glasscheibe, um sich in sein Ohr hineinzustehlen.
    Eine weit geschwungene, klagende Melodie. Die Töne stiegen auf, erklommen ungeahnte Höhen und kreisten über der Welt wie ein Adler, der aus ungeheurer Höhe auf ein Gebirge hinabblickt.
    Er schloss die Augen. Es überwältigte ihn, dass er dazu fähig war, in seinem Inneren solche Bilder heraufzubeschwören. Er konnte nicht nur das grau gezackte Massiv des Gebirges erkennen, sondern auch einzelne Schneefelder, in denen sich bläulich das Sonnenlicht spiegelte. Die graugrünen Ebenen jenseits der Berge waren tiefer liegende Länder. Etwas glitzerte silbrig zwischen krausen Waldflächen: ein geschwungener Fluss. Quint war es, als würde er in den Himmel blicken und über sich in das prachtvolle ewige Blau schauen. Es zog ihn so in seinen Bann, dass er vergaß, wo er sich befand.

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