Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
lange brauchte, würde er sicher noch ein Gasthaus finden, das geöffnet hatte. Am liebsten hätte er das hier genommen. Er verlangsamte bereits, um nachzusehen, wann Sperrstunde war.
Aber das ging natürlich nicht. Er musste erst eine große Distanz zurücklegen. Schließlich konnte es tatsächlich sein, dass er beobachtet wurde und man sich nach Zeugen umhörte. Und wenn dann der Gastwirt aussagte, dass ein Unbekannter, der bei der Bestellung auch noch mit deutlich amerikanischem Akzent gesprochen hatte, bei ihm gewesen war … Das würde die Polizisten sicher aufhorchen lassen.
Quint dachte an Ron Smith. Der hatte ihn sogar gesehen. Und wenn er zur Wache gegangen war, dann hatten die eine Beschreibung von ihm. Aber es war die Frage, ob Ron das wirklich tat …
Jetzt hatte er das Karree umrundet. Auf dem ganzen Weg von der unteren Ecke bis zum Laden begegnete ihm weder ein Fußgänger noch ein Auto. Wieder blickte er die Fassaden hinauf. Dort hatte sich nichts geändert.
Er blieb vor dem Geschäft stehen. Die Buchauslagen befanden sich im Dunkeln.
Erst die Wohnung oder erst der Laden?
Wenn er die Tür durchschritt, durfte ihn niemand sehen. Bei der Haustür daneben war das etwas anderes. Das fiel nicht so sehr auf.
Er zog das Einbruchsbesteck heraus. Gerade wollte er einen der Dietriche ins Schloss stecken, da sah er das Licht.
Es war nur ein schmaler Streifen, der weit hinten im Laden von der Decke bis zum Boden reichte.
Woher kam dieses Leuchten? Da gab es einen anderen Raum, der durch einen Vorhang vom Verkaufsraum getrennt war. Das wusste Quint. Und dort gab es auch ein Fenster, durch das der Schein einer Straßenlaterne hereinfallen konnte.
Aber dafür war das Licht zu hell.
Der Lichtfaden wurde kurz unterbrochen, schien für einen Moment zu verschwinden und war dann wieder da.
Da war jemand vor dem Lichtschein vorbeigegangen!
Es befanden sich also Menschen in dem Laden.
Und das konnten nur Mara und Lechner sein.
Er erstarrte. Es war unmöglich zu erkennen, ob sich die Person, die sich vor dem Lichtstrahl bewegt hatte, in dem Hinterzimmer oder im Ladenlokal befand.
Wenn sie im Laden war, konnte sie ihn hier draußen stehen sehen.
Er wandte sich ab. Wenn man ihn bemerkt hatte, gab es noch die winzige Chance, dass man ihn für einen späten Spaziergänger hielt, der Interesse an den Auslagen des Antiquariats zeigte.
Er ging langsam bis zum nächsten Haus und lehnte sich an die Mauer. Dort entspannte er sich und blieb ruhig stehen.
Jetzt galt es, Geduld zu haben.
Zu warten.
Und im entscheidenden Moment zuzuschlagen.
Dumpf streifte ihn der Gedanke, dass er etwas hatte essen wollen.
Doch mit der gewohnten Routine unterdrückte er das Hungergefühl.
Und wartete.
47
»Klangfiguren«, las Mara. » Chladnische Klangfiguren . Komisches Wort.«
Jakob biss sich auf die Unterlippe. »Eigentlich ganz naheliegend.«
»Kannst du mir das bitte mal erklären?«
Er klickte weiter und nahm den Blick nicht vom Monitor, während er erklärte. »Chladnische Klangfiguren sind ein Phänomen der Akustik. Stell dir eine Metallplatte vor, auf die jemand Sand gestreut hat. Wenn man die Platte in Schwingungen versetzt – zum Beispiel mit einem Geigenbogen oder auch mit Tönen aus einem Lautsprecher –, ordnet sich der Sand zu Mustern an. Der Klang wird also sichtbar. Man kann ihn optisch darstellen, verstehst du? Die Klangfiguren sind also das Bindeglied zwischen Akustik und Optik.«
»Und warum heißen sie …« Mara suchte das Wort auf dem Bildschirm, fand es aber nicht.
»Sie heißen chladnische Klangfiguren, weil ein gewisser Ernst Florens Friedrich Chladni sie entdeckt hat. Und zwar …«, er suchte auf dem Monitor, »… im Jahre 1787. Das heißt, in diesem Jahr hat er das Buch veröffentlicht, in dem er das Phänomen beschreibt. Entdeckt hat er es sicher schon früher.«
»Zeig mir das noch mal«, sagte sie, wartete aber nicht, bis Jakob reagierte, sondern nahm selbst die Maus, um damit herumzuklicken.
Da waren sie wieder, die Bilder.
Manche bestanden nur aus parallelen Linien, andere bildeten Quadrate, Kreuze, Schleifen, einander umschlingende Kreise oder Wellen. Manchmal liefen sie diagonal, manchmal gerade. Je mehr sich Mara hineinversenkte, desto deutlicher wurde ihr der Bezug zum Klang, zur Musik.
»Das sieht wirklich schön aus«, sagte sie.
»Finde ich auch.«
»Wie kommt es, dass sie sich unterscheiden? Sind das jeweils verschiedene Tonhöhen, die zu den unterschiedlichen Mustern
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