Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
aus? Wie kommst du darauf? Welche Klangfigur soll das sein?«
»Es ist doch logisch«, rief Mara, plötzlich ganz erfüllt von dem Gedanken, der ihr gerade gekommen war. »Du vergisst, dass es in dem ganzen Spiel etwas gibt, das einen ganz bestimmten Klang erzeugen kann. Und über dessen Bedeutung wir ja auch die ganze Zeit gerätselt haben.«
Jakob ließ die Hände auf die Tischplatte fallen, dass es knallte. »Natürlich«, rief er aus. »Die Schwarze Violine …«
»Tamara. Es ist der Klang den sie erzeugt. Dieser Klang ergibt eine bestimmte Klangfigur. Und diese Klangfigur entschlüsselt die Karte. Wenn wir also ihren Klang sichtbar machen, sehen wir, wo der Ort liegt.«
Jakob hatte wieder damit begonnen, auf seiner Unterlippe herumzukauen. »Selbst wenn das möglich wäre … Wir haben die Violine nicht mehr. Sie schwimmt gerade die Donau hinunter.«
Mara blickte auf den hellen Bildschirm. Sie schwiegen.
Jakob hatte recht. Der Weg, den sie gehen wollten, war versperrt. Wenn die Geige nicht mehr existierte, konnten sie keine Klangfiguren mit ihr herstellen.
»Wir haben verloren«, sagte Mara. »Das Einzige, was uns noch bleibt, wäre eine Reise nach Italien in die Gegend, die auf der Karte zu sehen ist. Dort können wir dann selbst Nachforschungen anstellen.«
»Ich kann nicht glauben, dass das hier das Ende sein soll.« In Jakob war wieder Bewegung gekommen. Er legte die Finger auf die Tastatur, nahm die Maus und klickte. »Wir können uns wenigstens schlaumachen, wo das in Italien ist.«
Er gab die Namen der Orte ins Suchprogramm ein, und ein paar Minuten später wussten sie Bescheid.
»Es ist in der Toskana«, sagte er. »Nordöstlich von Florenz … Das hätte man sich denken können.«
»Wieso?«, fragte Mara.
»Florenz war ein Zentrum der Renaissance und des Frühbarock. Wenn man so will, wurde in dieser Stadt die Oper erfunden – und mit ihr eine wichtige Strömung der Barockmusik. Renaissance bedeutet ja, dass man sich nach dem Mittelalter wieder für die Kunst der Antike interessierte, dass man sogar versuchte, diese Kunst nachzuahmen … Ich habe mir schon gedacht, dass die Orpheus-Sekte aus diesem Geist heraus zusammengefunden hat. Jeder Musiker, der in der Barockzeit auf sich hielt, stammte entweder aus Italien, oder er reiste dorthin, um zu lernen. Einer der berühmtesten deutschen Komponisten, die diese Reise auf sich nahmen und in Italien sogar so erfolgreich wurden, dass sie die Einheimischen in den Schatten stellten, war Georg Friedrich Händel. Er besuchte alle italienischen Zentren – Venedig, Rom, Neapel, Florenz …«
Er hatte beim Reden weitergeklickt. Nun zeigte sich die Weltkugel von Google Earth auf dem Bildschirm. Er brachte sie mit ein paar Mausklicks zum Drehen, zoomte dann heran, und Mara kam es vor, als würde sie aus dem Weltraum auf die Erde stürzen. Der Fokus konzentrierte sich auf Europa, dann den italienischen Stiefel und schließlich Norditalien mit den Städten der Toskana: Siena, Pisa …
Er klickte Florenz an, zog das Bild etwas zur Seite, und nun konnte Mara eine Linie nach Nordosten sehen, die in Bologna endete. »Nein, das ist noch zu weit entfernt«, sagte er und ging näher an die virtuelle Erdoberfläche. Schließlich ließ er das Bild stehen. »Hier müsste es irgendwo sein.«
»Wenn wir nur Tamara wiederhätten«, sagte Mara. »Man kann so viel mit dem Computer machen. Man kann die Welt umrunden, kann Kontinente erforschen … Aber den Klang einer zerstörten Geige kann man nicht rekonstruieren.«
»Selbst wenn wir die Geige hätten, bräuchten wir noch einen Tonografen und den ganzen Versuchsaufbau, um die Klangfigur herzustellen. Dann müssten wir sie in den Computer einscannen und mit der Landkarte in Zusammenhang bringen. Ich frage mich, wo es heute noch welche von diesen Tonografen gibt. Wahrscheinlich im Museum.«
Wieder klickte er, suchte und gab Begriffe ein.
Mara sah ihm zu, ohne genau zu verfolgen, was er tat. Der Schmerz über den Verlust ihrer Geige flammte plötzlich so intensiv auf, dass es ihr fast den Atem nahm. Niemals hatte sie das Instrument so sehr vermisst wie jetzt. Dass Musik aber auch so etwas Flüchtiges war! Man hatte einmal einen Ton gespielt, da war er auch schon weg. Und das für alle Zeiten. Noten konnten die Musik selbst ja nicht ersetzen.
»Den Tonografen brauchen wir schon mal nicht«, sagte Jakob in die Stille hinein.
Mara schreckte aus ihren Gedanken auf. »Was? Wieso nicht?«
»Du hast mich gerade selbst
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