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Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)

Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)

Titel: Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Gefühle widerspiegeln, schien sich das Schwarz in der Mitte ihres Korpus auszubreiten wie ein finsteres, geheimnisvolles Wesen. Seltsam, dass es an dieser Stelle keinen Glanz gab, dass der Maler hier seine Waffen gestreckt und nichts von dem Lackeffekt wiedergegeben hatte.
    Sie ging noch näher heran, und da bemerkte sie etwas, das ihr bisher noch gar nicht aufgefallen war. Das Dunkle im unteren Bereich der Geige, wo der Saitenhalter hinter der Kante befestigt war … es war nicht gemalt.
    Es war ein Loch.
    Eine Tür.
    Mara stand nun dicht davor und sah nach oben, als wolle sie die Geige um Erlaubnis bitten einzutreten.
    Die riesige Schnecke über dem Wirbelkasten, die herausstehenden Wirbel. Die Violine schien wie ein gewaltiges urzeitliches Wesen auf Mara herabzublicken. Das Bild verschwamm vor ihren Augen, und sie spürte, dass sie, sollte sie den Mut haben, den nächsten Raum zu betreten, vor eine Prüfung gestellt wurde.
    Aber das war doch alles falsch!
    Sicher – sie würde sich der Prüfung stellen. Sie würde gerne denselben Weg gehen, den die Anwärter der Orphiker damals gegangen waren. Es wäre ihr eine Ehre, Teil einer so alten Gemeinschaft zu sein.
    Aber sie hatte kein Instrument.
    Sicher waren ihre Vorgänger mit einer Geige, womöglich sogar mit der Schwarzen Violine hierhergekommen. Man hatte ihnen eine Aufgabe gestellt. Wahrscheinlich mussten sie etwas spielen. Etwas besonders Schweres. Sie mussten vor einer Jury ihre Kunst beweisen.
    Aber Mara hatte keine Geige dabei.
    Wenn sie jetzt auf die andere Seite ging, kam ihr das wie eine Entweihung vor. Sie hatte hier nichts verloren.
    Entweder sie ging aus reiner Neugierde hinüber, doch dann war sie keine Orphikern, sondern nur eine neugierige junge Frau, die etwas erfahren wollte.
    Oder sie fühlte sich als Teil dieser alten, vielleicht ausgestorbenen, aber für sie immer noch lebendigen Gemeinschaft, dann musste sie auch deren Regeln einhalten.
    Und wenn sie es nicht tat, hatte sie jede Chance verspielt, ein Mitglied zu werden. Ein für alle Mal.
    Sie hatte die ganze Zeit nach oben gesehen. Es kam ihr vor, als habe sie diese Erkenntnis von dem Wesen empfangen, das dort auf dem Bild vor ihr stand.
    Ich kann es nicht, dachte sie, und sie wusste, dass dieses Etwas vor ihr zuhörte und verstand.
    Ich kann es nicht wagen.
    Ich komme wieder, wenn ich bereit bin.
    Das haben schon so viele vor dir gesagt.
    Mara schrak aus ihren Gedanken auf. Einen Moment war es ihr, als habe sich die riesige Geige bewegt, als zeige sie eine Art von Reaktion. Oder war es nur ein Schattenspiel gewesen, erzeugt von der lodernden Fackel?
    Aber sie hatte gesprochen!
    In ihrem Kopf.
    Viele haben vor dir an dieser Stelle gestanden.
    Viele haben gezögert.
    Manche haben Tage hier verbracht, bevor sie weitergingen.
    Schon dieses Zögern hat gezeigt, dass einige von ihnen nicht bereit waren.
    Mara konnte nicht entscheiden, ob ein Teil ihres Ichs diese Gedanken produzierte, oder ob es tatsächlich diese Göttin der Orphiker war.
    Hat Orpheus gezögert?
    Nein, das hat er nicht getan.
    Orpheus war so von Liebe zu seiner Eurydike erfüllt, dass er alles daransetzte, in die Unterwelt zu gelangen.
    Mara formulierte einen Gegengedanken: Es ging Orpheus doch um die Liebe zu einem Menschen. Es ging ihm um die Liebe zu einer Frau, die er verloren glaubte. Ist das nicht etwas anderes? Er musste einen Menschen retten, der ihm viel bedeutet hatte.
    Dieser Mensch war kein Mensch, Mara.
    Aber wieso nicht? Es war Eurydike. Sie war seine Frau.
    Du verstehst immer noch nicht den Sinn der Orpheus-Geschichte. Seine Geliebte war stets nur die Musik. Ein Künstler darf nur mit seiner Kunst verheiratet sein. Mit sonst niemandem. Und so ist die ganze Reise in die Unterwelt eine symbolische Reise in Orpheus’ eigenes Ich gewesen. Als er zurückkam, war aus ihm ein wirklich großer Künstler geworden. Weil er sich selbst erkannt hatte. Groß, aber einsam.
    Aber war das nicht ein Widerspruch? Ein größerer Künstler? Und trotzdem einsamer? Wenn er so ein großer Künstler war, musste er doch auch großen Erfolg gehabt haben. Und war ein Künstler, der Erfolg hatte, einsam?
    Ja, sicher. Das war er. Erfolg sichert keine Freundschaften. Im Gegenteil. Man ist allein. Man ist umgeben von Menschen, die Geschäfte mit einem machen wollen. Man weiß nicht, wem man vertrauen kann.
    Mara hatte keine Ahnung, ob es bei den alten Griechen schon so eine Art Showgeschäft gegeben hatte, aber sie wusste, wie die Dinge heute

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